Sonntag, 13. Januar 2008

Keinohrhasen Nachschlag 2

Die Diskussionen meines Artikels vom 1. Januar gehen noch munter weiter (in dieser Minute sind es 45 Kommentare), und auch Harald Martenstein bekommt auf seinen Beitrag in der ZEIT allerlei zu lesen (obwohl das Kommentieren dort durch Anmeldepflicht sehr erschwert wird). Selbst Fußballfreunde äußern sich recht eindeutig zu Til Schweigers niveaulosem Streifen.

Ich habe inzwischen eine Antwort von der FSK bekommen, die Argumentation legt teilweise den Gedanken nahe, dass diejenigen, die für die Freigabe ab sechs Jahren verantwortlich sind, einen anderen / gar keinen Film gesehen haben:

Die Ausschussmitglieder charakterisierten „Keinohrhasen“ als romantische Liebeskomödie, die gekonnt das Thema Liebe mit überzeugenden Darstellern wie Nora Tschirner und Till Schweiger umsetzt. In der Figurenzeichnung wird klischeehaft die Protagonistin Anna als „hässliches Entlein“ (riesige Brille, zu große Katzenstrickjacke) dargestellt, deren Charakterstärke und Beharrlichkeit es zu verdanken ist, dass Ludo sein oberflächliches und sexuell ausschweifendes Leben zu Gunsten einer „wahren“ Liebe beendet. Die filmischen Figuren bleiben in ihrer Zeichnung plakativ und klischeehaft, was die Zuordnung in Gut und Böse für zuschauende Kinder verständlich und einordenbar macht.


Ah ja. Ein richtig süßer Kinderfilm. „Hässliches Entlein“ bringt den Böseewicht auf gute Wege. Gut und Böse für Kinder verständlich dargestellt. - Welcher Film war das noch mal?

Als Orientierungsfiguren gerade für jüngere Zuschauer bieten sich die beiden Kindergärtnerinnen an, die während des ganzen Films liebevoll und entschlossen mit den Kids in Kindergarten und Hort leben. Und im Fokus der Aufmerksamkeit von zusehenden Kindern dürften vornehmlich die Kindergartenkids stehen, die gut gelaunt, selbstbewusst und stark in ihrer überzeugend kindgerecht gestalteten Spielewelt leben. In Sonnenlicht getaucht und mit aufwendig phantasievoll gestalteter Ausstattung wird diese mit Respekt dargestellte Welt der Kinder inszeniert, was für jüngere Zuschauer ein schönes Seherlebnis darstellen dürfte.


Eine in Sonnenlicht getauchte heile Kinderwelt voller lieber und entschlossener Erzieherinnen, ein schönes Seherlebnis für die kleinen Zuschauer im Kino. Na wenn das nicht ein Familienfilm ist...

Als prägend für die Rezeption erachteten die Ausschussmitglieder die ansprechend inszenierte Welt der Kinder, - sie leben authentisch in kindgerecht gestalteten Räumen und in der Natur und werden von liebevoll und humorvoll betreuendem Personal begeleitet. Inhaltlich transportiert die Komödie auch in für Kinder verständlicher und nachvollziehbarer Weise das Thema „wahre Liebe“ und grenzt dies deutlich zu groben, rüden, unpersönlichen und auf Sexualität reduzierten Beziehungen ab, wie sie eingangs von Ludo ausgelebt werden. Diese oberflächliche, sexfixierte Haltung Ludos stellt der Film sowohl szenisch als auch in der Sprache dar: Diese Filmanteile waren Grund für eine kontroverse Wirkungsdiskussion im Ausschuss.


Das Thema „wahre Liebe“ wird kindgerecht und verständlich zu den Kindern im Kino transportiert. Ach so. Und die „oberflächliche sexfixierte Haltung“ wird, was ja nicht weiter schlimm ist, szenisch und in der Sprache dargestellt. Immerhin hat ein kleiner Teil des Ausschusses bei der FSK wohl nicht geschlafen, als der Film vorgeführt wurde, sondern eine Diskussion entfacht:

Während die Ausschussminderheit die sexualisierte Sprache im Film als desorientierend und entwicklungsstörend für Kinder unter 12 Jahren beurteilte, vertrat die Ausschussmehrheit die Meinung, dass die derben Aussprüche keine nachhaltig belastenden Wirkungen nach sich ziehen, da sie zum einen gar nicht verstanden werden und zum anderen in der filmischen Erzählung und der Message des Films keine positive Entsprechung finden. Die für kleine Kinder tragfähigen Vorbildfiguren wie die Kindergärtnerinnen wenden derartige Sprachbilder nicht an und der Film arbeitet spür- und verstehbar die Haltung heraus, dass eine romantische Liebesbeziehung, wie Anna sie sucht und zum Ende des Films auch verwirklichen kann, die einzig Sinngebende ist


Eine Ausschussminderheit hatte also Ohren und Augen offen, als der Streifen lief. Der Rest scheint von einem anderen Film geträumt zu haben oder aus anderen Gründen abgelenkt gewesen zu sein. Die „derben Aussprüche ziehen keine nachhaltend belastende Wirkungen nach sich“, behauptet die FSK. Oralsex in Wort und Bild, Erbrechen beim Geschlechtsverkehr, die mehrfache wiederholte Frage an zahlreiche Taxifahrer nach dem „Blasen“ wohl auch nicht. Sagt die FSK. Die Kinder verstehen es ja nicht, reden sich die Ausschussmitglieder wohl ein, um ihr Gewissen, falls eins vorhanden ist, zu beruhigen.

Als nachhaltig prägend für die Rezeption wird somit die inhaltlich positive Orientierung des Films und nicht einzelne, derb sexualisierte Sprüche erachtet. Nach einer ausführlichen, kontrovers geführten Wirkungsdiskussion votierte die Ausschussmehrheit für eine Freigabe ab 6 Jahren.


Am Schluss des Antwortscheibens, aus dem ich hier Auszüge zitiert habe, bekam ich noch einen Tipp, den ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte:
Selbstverständlich haben Sie die Möglichkeit, sich an Ihr zuständiges Jugendministerium zu wenden, um evtl. eine nochmalige Prüfung des Films im Appellationsverfahren zu veranlassen.


Vielleicht bewirkan ja viele Zuschriften von vielen Menschen auf lange Sicht doch etwas? Zum Beispiel dass bei zukünftigen Entscheidungen der FSK die Ausschussmitglieder anwesend sind, wenn ihnen der Film vorgeführt wird. Man erreicht die FSK über fsk at spio-fsk punkt de, die jeweiligen Jugendministerien für die Bundesländer sind im Internet leicht zu finden.