Donnerstag, 15. Mai 2008

Über das Schreiben 7: Ohne Fleiß kein Preis

In einem literarischen Zirkel plauderten wir kürzlich über die Entstehungs- und Überarbeitungszeiten, die manches Stück Literatur verlangt. Einige Stimmen zeigten sich außerordentlich überrascht, dass ich allein in die letzte Bearbeitung meines Romanes »Sabrinas Geheimnis«, der elf Jahre reifen durfte, bisher runde 80 Stunden inverstiert habe und noch nicht fertig bin.

Nun ja. Das liegt eben an den Details. Zwar hat die beste aller Ehefrauen schon mit geschultem Auge Zeile für Zeile inspiziert und eine ganze Menge Fehler gefunden, guten Rat gegeben und Mangelhaftes bemängelt, aber dennoch fallen mir ein paar Verbesserungen erst jetzt ein. Zum Beispiel:
Ich wollte nicht wieder in ungebremsten Alkoholkonsum und bodenlose Depressionen hinein rutschen wie nach Esthers Tod. Man kann den Kummer verdrängen, indem man sich in die Arbeit stürzt, dachte ich, doch ich stellte bald fest, dass man ihm auch so nicht entrinnt. Er kam immer wieder an die Oberfläche wie der Zigarettenstummel im Toilettenbecken.
Daraus wurde jetzt:
Ich wollte nicht wieder in ungebremsten Alkoholkonsum und bodenlose Depressionen hinein rutschen wie nach Esthers Tod. Man kann den Kummer, statt ihn vergeblich ertränken zu wollen, vielleicht verdrängen, indem man sich in die Arbeit stürzt, dachte ich. Doch ich stellte bald fest, dass man ihm auch so nicht entrinnt. Er kommt immer wieder an die Oberfläche wie der Zigarettenstummel im Toilettenbecken.
Details nur, aber mir als Autor sind sie wichtig. Denn der Text muss sich für mich »richtig anfühlen«.

Außerdem habe ich, das verzögert die Fertigstellung auch, ein ganzes Kapitel aus dem Roman entfernt, denn es war ein Fremdkörper, der da nichts zu suchen hatte. Das wusste ich schon vorher, aber ich wollte doch sehen, ob ich es an Eva »vorbeimogeln« kann. Sie hat es natürlich sofort bemängelt. Mit Recht. Daher musste ich die Operationsstelle vernähen, damit kein Loch in der Handlung bleibt und ergänze nun hier und dort ein paar Zeilen, um wieder auf eine Länge zu kommen, die den Titel »Roman« rechtfertigt. Zum Beispiel so:
In der Boutique brachte mich Sabrina in Verlegenheit, indem sie mich fragte, welche der drei Seidenblusen, die in die engere Auswahl gekommen waren, ihr am besten stehen würde. Ich muss zugeben, dass mein Geschmack, was Kleidung betrifft, nicht gerade treffsicher ist. Ich bringe es fertig, zu einem blauen Hemd eine Krawatte mit Grüntönen und eine braune Hose zu tragen, ohne dass ich selbst mich daran stören würde. Wenn ich jemanden sehe, der gut gekleidet ist, nehme ich dies zwar zur Kenntnis, es gelingt mir jedoch selten, mir selbst bei der Kombination von Kleidungsstücken das zueinander Passende auszusuchen.
Auch kann ich nie mit Bestimmtheit sagen, warum ich jemanden als gut gekleidet bezeichnen würde, welche Details dazu beitragen. Ich könnte auch nie sagen, welcher Farbton nun besser mit jemandes Haaren, Teint, Augenfarbe oder Make-up harmoniert. Entweder ich finde mein Gegenüber gut aussehend oder eher durchschnittlich, mit allen erdenklichen Abstufungen.
Sabrina sah entzückend aus, und zwar in jeder der drei Blusen. Ich hätte sie in allen anderen, die schon bei der Vorauswahl beiseite gelegt worden waren, genauso bezaubernd gefunden. Aber offensichtlich erwartete sie von mir eine Antwort, also sagte ich kurz entschlossen: »Diese hier, das leichte Orange steht Ihnen sehr gut.«
Sie lachte und erklärte: »Lachs, nicht Orange. Ich hätte sogar passende Ohrringe dazu.«
»Gut, dann nehmen wir den Lachs«, grinste ich, nahm die Bluse und strebte der Kasse zu. Sabrina blieb zurück und stöberte noch durch eine für mich erdrückende Vielfalt von Pullovern.
Daraus wurde:
In der Boutique brachte mich Sabrina in Verlegenheit, indem sie mich fragte, welche der drei Seidenblusen, die in die engere Auswahl gekommen waren, ihr am besten stehen würde. Ich muss zugeben, dass mein Geschmack, was Kleidung betrifft, nicht gerade treffsicher ist. Nie treffsicher war. Ich bringe es fertig, zu einem blauen Hemd eine Krawatte mit Grüntönen und eine braune Hose zu tragen, ohne dass ich selbst mich daran stören würde.
Auch kann ich nie mit Bestimmtheit sagen, warum ich jemanden als gut gekleidet bezeichnen würde, welche Details dazu beitragen. Ich könnte auch kein Urteil fällen, welcher Farbton nun besser mit jemandes Haaren, Teint, Augenfarbe oder Make-up harmoniert. Entweder ich finde mein Gegenüber gut aussehend oder eher durchschnittlich, mit allen erdenklichen Abstufungen.
Wenn ich jemanden sehe, der gut gekleidet ist, nehme ich dies zwar zur Kenntnis, es gelingt mir jedoch selten, jedenfalls meinten das sowohl Esther als auch Sabrina mit gewisser Regelmäßigkeit, mir selbst bei der Kombination von Kleidungsstücken das zueinander Passende auszusuchen.
»Mon Chéri, so gehst du nie!«, hielt mich Esther dann und wann auf, wenn ich die Wohnung verlassen wollte.
»Was ist verkehrt?«
»Du kannst doch nicht diese Krawatte zu diesem Jackett tragen. Du siehst ja aus wie ein Clown.«
»Ein Clown hat eine rote runde Nase und ist weiß geschminkt.«
»Oder er sieht aus wie mon amour, wenn mon amour sich aus dem Kleiderschrank bedient.«
Diese Gespräche endeten regelmäßig damit, dass sie mich erstens liebevoll küsste und zweitens entweder eine alternative Krawatte oder ein anderes Jackett, bei Bedarf auch ein passenderes Hemd, mit erstaunlicher Treffsicherheit aus dem Schrank fischte.
Und nun sollte ich Sabrina sagen, welche der drei Blusen ihr am besten stand. Sie sah entzückend aus, und zwar in jeder der drei Blusen. Ich hätte sie in allen anderen, die schon bei der Vorauswahl beiseite gelegt worden waren, genauso bezaubernd gefunden. Aber offensichtlich erwartete sie von mir eine Antwort, also sagte ich kurz entschlossen: »Diese hier, das leichte Orange steht Ihnen sehr gut.«
Sie lachte und erklärte: »Lachs, nicht Orange. Ich hätte sogar passende Ohrringe dazu...«
»Gut, dann nehmen wir den Lachs«, grinste ich, nahm die Bluse und strebte der Kasse entgegen. Sabrina blieb zurück und stöberte noch durch eine für mich erdrückende Vielfalt von Pullovern.
Nebenbei bemerkt: Die beste aller Ehefrauen nennt mich zwar nicht französisch »mon amour«, aber die Situation, die mit dem kurzen Dialog oben geschildert wird, ist uns nicht fremd. Eva meint dann: »You aren't going like this, are you?«

Ich halte es, was das Schreiben betrifft, mit Ror Wolf: »Das allerhübscheste Talent nützt nichts, wenn der Autor nicht in der Lage ist, sich an den Tisch zu setzen und sehr entschlossen dort sitzenzubleiben.«

Mein Schreibtipp Nummer 7: So lange am Schreibtisch sitzen bleiben und die Details in Augenschein nehmen, bis »das Gefühl« für den Text «stimmt«. Ohne Fleiß kein Preis. Oder nur ab und zu, aber der wäre dann nicht wirklich verdient...