Donnerstag, 30. Oktober 2008

Grass ist ein Egoist

Ich lese regelmäßig mit nicht geringem Vergnügen die geistreichen Antworten eines nicht ganz unbekannten Literaturkritikers auf mitunter recht geistlos anmutende Fragen von Lesern einer nicht ganz unbedeutenden Zeitung.

Da fragte nun kürzlich jemand:
Nach der Offenlegung der Vergangenheit von Günter Grass als SS-Mann sehe ich Grass als verlogenen Egoisten. Sind Sie auch der Meinung, dass das Werk von Grass - immerhin zuweilen Abiturstoff - wegen Unglaubwürdigkeit neu interpretiert werden muss oder sogar vom Lehrplan gestrichen werden sollte?
Die Antwort hat mir gut gefallen:
Ja, das stimmt wohl: Grass ist ein Egoist. Das gilt auch für Kleist, Rilke und Thomas Mann und vielleicht auch für Shakespeare. Dass das Werk als Abiturstoff verwendet wird, ist sehr erfreulich - und so sollte es bleiben. Sollte man es neu interpretieren? Jawohl, alle bedeutenden Werke der Literatur sollten von Zeit zu Zeit neu interpretiert werden.
Manchmal frage ich mich allerdings, ob die Leserzuschriften nicht genauso erfunden sind, wie die E-Mails und Anrufe in der »Theme Time Radio Hour«. Das wäre allerdings so furchtbar nicht, denn immerhin vermag mich die Lektüre köstlich zu erheitern. Was will man mehr?

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Foto: Der von F.A.Z.-Leserhand Gescholtene und meine amüsierte Wenigkeit, fotografiert von der besten aller Ehefrauen