Samstag, 27. Dezember 2008

Der Zwiespalt

Es gilt, Tomaten mit Äpfeln zu vergleichen. Ein ganz und gar törichtes Unterfangen, ich weiß. Man findet sich unversehens in einem Zwiespalt wieder. Doch wenn der Apfel vorgibt, anhand einer Tomate geschaffen worden zu sein, ist der Vergleich fast unumgänglich.

Wir waren gestern im Lichtspielhaus und haben uns die aktuelle Verfilmung des Romans Buddenbrooks angesehen. Wenn man das Buch von Thomas Mann wie ich mehrmals und mit Begeisterung gelesen hat, dann ist die Enttäuschung auch bei der bestmöglichen Verfilmung so gut wie unumgänglich, es sei denn, man ist sich vorher schon darüber im klaren, dass ein Apfel keine Tomate sein kann. Und umgekehrt.

Ich war vorgewarnt, unter anderem durch das Feuilleton der F.A.Z., dass das Unumgängliche auch bei dieser Literaturverfilmung wirklich eintritt: Es fehlen Szenen, es fehlen Protagonisten, es wurde weggelassen und hinzuerfunden. Ein Film ist eben ein Film und ein Buch ist eben ein Buch. Das geht gar nicht anders. Es herrschen ganz unterschiedliche Gesetze in den beiden Medien, und davon einmal abgesehen - wer könnte jemals einen 650 Seiten starken Roman verlustfrei in drei Kinostunden quetschen? Niemand.

Ich habe also keine tatsächliche Wiedergabe eines Romans erwartet beim Betreten des Filmtheaters - und wurde angenehm überrascht. Der Film vermag es durchaus, die Stimmung zu erzeugen, die Thomas Mann heraufbeschworen hat. Von den Kulissen bis zu den Darstellern fügt sich alles zu einem schlüssigen Portrait einer Epoche zusammen. Ohne Makel, ohne Abstriche. Eine Glanzleistung, ein heutzutage leider selten gewordenes Vergnügen.

Aber.

Leider leider gibt es ein Aber. Der Film wurde vor allem nach der Pause denn doch etwas eilig, um nicht zu sagen hektisch. Es gab noch einige Todesfälle darzustellen, und die Zeit schien dem Regisseur davonzulaufen. So wurde quasi Schlag auf Schlag gestorben, wobei die in der ersten Hälfte betörende Stimmung zumindest für mich ein wenig litt. Hannos Sterben nimmt im Roman immerhin ein ganzes Kapitel in Anspruch, in dem Thomas Mann sehr anschaulich darstellt, wie das Kind zu Tode kommt:

Mit dem Typhus ist es folgendermaßen bestellt: Der Mensch fühlt eine seelische Mißstimmung, die sich rasch vertieft und zu einer hinfälligen Verzweiflung wird. Zu gleicher Zeit bemächtigt sich seiner eine physische Mattigkeit, die sich nicht allein auf Muskeln und Sehnen, sondern auch auf die Funktionen aller inneren Organe erstrecke, und nicht zuletzt auf die des Magens, der die Aufnahme von Speise mit Widerwillen verweigert...

beginnt die Schilderung im Buch. Im Film stellt der Arzt am Sterbebett fest, dass gegen Typhus kein Kraut gewachsen sei.Es bleibt dem Film einfach keine Zeit, trotz der weggelassenen Personen und Begebenheiten, den Tod des letzten Buddenbrook in Ruhe zu betrachten.

Und da sind wir wieder bei den Äpfeln und den Tomaten. Die Sprache, die den Roman Buddenbrooks so unvergleichlich und unerreicht macht, findet sich im Film Buddenbrooks so gut wie gar nicht wieder. Leider auch kaum je in den Dialogen, vielleicht hielt der Drehbuchautor die Zuschauer heutzutage für nicht mehr in der Lage, einem Satz mit mehr als zwei Satzteilen zu folgen?

Dafür hat der Film eine Magie der Bilder und der Kameraführung, die auf ganz eigene Weise das Dargestellte lebendig werden lässt. Das eine ist so einzigartig und gut wie das andere, so wie Tomaten nie die Äpfel ersetzen können und umgekehrt. Es mag lediglich eine Frage der persönlichen Vorlieben sein, wo man die Präferenzen setzt.

Mein Fazit nach dem Besuch im Kino: Unbedingt sehenswert, ein ganz und gar überzeugender Film, dem man höchstens gegen Ende etwas mehr Ruhe gönnen würde. Ein wunderbares Stimmungsbild mit tragischen, komischen und allen anderen Elementen, die einen Film sehenswert machen. Stimmige Charaktere, eine interessanter Geschichte, wunderbare Darsteller. Man spürt an jedem Detail, dass die Beteiligten ihre Aufgabe ernst genommen und alle Sorgfalt darauf verwendet haben, einen herausragdenden Film zu schaffen. Das ist gelungen. Dieser Film wird einer von den wenigen sein, die auch in 10 oder 20 Jahren noch sehenswert sind.

Aber natürlich ist dieser Film nicht der Roman von Thomas Mann. Das kann er nicht sein und das wird auch nie irgend eine Verfilmung erreichen. Eine Tomate ist eben kein Apfel. Und es wäre doch ausgesprochen töricht, die beiden miteinander zu vergleichen. Aus dem Zwiespalt wäre ein Entrinnen undenkbar...