Dienstag, 13. Januar 2009

Suizid - eine problematische Diskussion

Ein Problem wird nicht dadurch geringer, dass man es tabuisiert oder ignoriert, das ist eine Binsenweisheit. Dennoch sind Wortmeldungen zum Thema Selbstmord eher selten, und seitens der »christlichen« Medien war recht wenig über einen spektakulären Fall in jüngster Zeit zu lesen. Lediglich bei Jesus.de fiel mir ein Beitrag auf: Das schwierige Verhältnis von Christen zum Freitod

Selten sehe ich die Talkshow der ARD nach dem »Tatort« bis zum Ende an, doch die letzte Sendung hielt mich bis zu letzten Minute fest. Anne Will hatte, anlässlich des Todes von Adolf Merckle, Gesprächspartner eingeladen, die sehr gegensätzliche Sichtweisen zum Thema mitbrachten: Katrin Göring-Eckardt, evangelische Theologin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Roger Kusch, Jurist und Sterbehelfer für 8.000 Euro pro Suizid, Walter Mixa, Bischof von Augsburg, und zwei Betroffene: Oswald Kolle, der seine unheilbar kranke Frau bei der vorher geplanten Selbsttötung begleitet hat sowie Marion Weidner, deren Sohn ohne ersichtlichen Grund und ohne Ankündigung freiwillig aus dem Leben schied.

Nun war der Unternehmer Adolf Merckle bekennender Christ, und insofern konnte keiner der kirchlichen Teilnehmer so einfach behaupten, dass der Selbstmord nicht stattgefunden hätte, wenn der Verzweifelte die Hoffnung des Glaubens gekannt hätte. Das hat - Gott sei Dank - auch niemand unternommen.
Es war eine Sendung, bei der trotz der konträren Auffassungen zum Thema die Betroffenheit im Vordergrund stand. Lediglich der Sterbehelfer Kusch wirkte auf mich eher unbeteiligt und »abgebrüht«, womöglich hatte er aber auch nur die Maske des Unberührten aufgesetzt?

»Man muss feststellen, dass es in unserer Gesellschaft nicht dazugehört, dass man auch mal scheitern kann. Egal, ob man Unternehmer ist, ob man Politikerin ist, es ist einfach nicht vorgesehen, dass man scheitert. Es geht immer nur darum, Karriere zu machen, es besser zu machen, schöner zu sein und so weiter«, sagte Frau Göring-Eckhardt und sprach damit ein grundsätzliches Problem unserer Gesellschaft an. In Amerika ist das tatsächlich anders. Da kann jemand scheitern, den Scherbenhaufen zusammenkehren und von vorne anfangen - um wichtige Erfahrungen reicher. Natürlich hat das nun gar nichts mit unheilbaren und qualvollen Erkrankungen zu tun.
Herr Mixa erzählte von Erfahrungen mit Sterbenskranken: »Ich bin mit vielen solchen Menschen ganz positiv und dankbarst umgegangen, und kann sagen, nicht durch mich, sondern wirklich durch die Hilfe und Liebe Gottes, sind die dann in ein menschenwürdiges Sterben, in ein Abschiednehmen von dieser Erde hineingegangen.« Obwohl Herr Mixa Selbstmord für Sünde hält, war kein verurteilendes Wort von ihm zu hören. Warum auch. Wer von uns allen ohne Sünde ist, der darf getrost den ersten Stein werfen.
Herr Kusch dagegen hielt nicht viel von den Gedanken an Gott: »Auch die Gnade des Herrn führt nicht dazu, dass ein Multiple-Sklerose-Kranker plötzlich wieder beide Hände benützen kann.« Damit hat er zwar grundsätzlich Unrecht, denn die Gnade des Herrn führt auch zur Heilung unheilbar Kranker, aber zumindest sei ihm zugestanden, dass dies (leider) nicht der Normalfall ist. Dass von den fünf im letzten Jahr mit seiner Hilfe durchgeführten Selbstmorden lediglich ein einziger aufgrund unheilbarer Krankheit stattfand, darüber wollte Herr Kusch nicht reden.

Die beiden familiär Betroffenen, Herr Kolle und Frau Weidner, berichteten von ihrem Erleben und es wurde sehr deutlich, wie tief die Erschütterung der überlebenden Familienangehörigen geht, wenn jemand sich das Leben nimmt - ganz gleich ob aus heiterem Himmel wie der Sohn oder geplant und vorbereitet wie die Ehefrau. Ich wurde beim Zuhören an meine eigene Verfassung erinnert, als ein Mitschüler Selbstmord begangen hatte, und das war »nur« ein Mitschüler, kein Verwandter...

Am Ende der Sendung gab es keine endgültigen Antworten, aber das war und ist auch nicht zu erwarten bei diesem schwierigen Thema. Es gab eine Menge Gedankenanstöße, auch die »gegnerische« Sichtweise anzuhören und zuzugestehen, dass es für und wider Suizid Argumente gibt, die nicht vom Tisch zu wischen sind.

Die Sendung kann man hier im Internet sehen: Anne Will - Wer hat das Recht, Leben zu beenden?

Foto von AnneWill.de