Montag, 27. April 2009

Bob Dylan: Together Through Life

1. »Beyond Here Lies Nothin’«
»Oh well I love you pretty baby, you’re the only love I’ve ever known. Just as long as you stay with me the whole world is my throne. Beyond here lies nothing, nothing we can call our own.« Der erste Song signalisiert, was den Hörer erwartet: Rumba-Blues Rhythmus, Akkordeon, Akustikgitarre, Trompeten und Tony Garniers unvergleichliches Bass-Fundament, als wäre man Gast in einer Bar, draußen sinkt die Sonne gen Horizont, drinnen sitzt man mit Freunden am Tisch, ein Glas Rotwein in der Hand, und hört einer Band zu, die auf einer zusammengezimmerten Bühne voller Hingabe und Begeisterung ihre Lieder spielt. Handgemachte Musik. Mit Freude gespielte Musik. Funken, die auf das Publikum überspringen. Gute Laune, die sich ausbreitet und die Musiker noch weiter anspornt. Entspannung. Ungehobelte Spielfreude, die Band spielt für das Trinkgeld und gelegentlich eine Runde Getränke, weil sie eben mit Herz und Seele Musiker sind. Damit ist auch klar, was das Album nicht ist: Wir hören keine Fortsetzung von »Love & Theft« und »Modern Times«, sondern das, was Bob Dylan in einem Interview kürzlich angekündigt hat, stimmt tatsächlich. »I think we milked it all we could on that last record and then some. We squeezed the cow dry. All the Modern Times songs were written and performed in the widest range possible so they had a little bit of everything. These new songs have more of a romantic edge.« Stimmt genau. »Beyond Here Lies Nothin’« ist ein beschwingter Auftakt zu einem faszinierenden und ganz und gar anderen Album. Der Text: Hier!

2. »Life Is Hard«
Es folgt eine Ballade in Moll: Man erschrickt beinahe, weil Dylan, der in den letzten Jahren meist eher bellen und knurren mochte, eine richtige ausgefeilte Melodie anstimmt: »The Sun is sinking low, I guess it’s time to go. I feel a chilly breeze in place of memories. My dreams are locked and barred, admitting life is hard without you near me.« Mancher mag bei einem Titel namens »Life Is Hard« eine sozialkritische Abrechnung mit den Ungerechtigkeiten des Lebens erwartet haben, eine Art »Workingman Blues #3«, statt dessen geht es um die verlorene Liebe. Ein vertrackter Rhythmus zwingt zum genauen Hinhören. Das Jazz-Schlagzeug scheint ein anderes Lied zu begleiten als der Sänger singt. Betörend. Bezaubernd. Der Text: Hier!

3. »My Wife’s Home Town«
Ironie war schon immer eine der Stärken Bob Dylans. Dieser rollende Blues zeigt, dass er nach wie vor ein Meister der spitzen Worte ist. »She can make you steal, make you rob, give you the hives, make you lose your tongue. Can make things bad, she can make things worse. She got stuff more potent than a gypsie curse«. Das könnte – könnte! – eine Abrechnung mit einer ganz ganz bösen Frau sein. Ist es aber nicht: »There ain’t no way to put me down, I just wanna say that Hell’s my wife’s home town«. Die Frau ist offenbar eine ganz ganz liebe Person, nur die Nachbarn, Verwandten und Bekannten zu Hause… Am Ende des Liedes geschieht Unerhörtes: Bob Dylan lacht schadenfroh. Einen lachenden Bob Dylan hat es meines Wissens noch auf keinem Album gegeben…Der Text: Hier!

4. »If You Ever Go to Houston«
Die Band auf der Bühne in unserer gemütlichen Bar hat eine frische Runde Bier oder Wein bekommen. Die Stimmung wird geradezu heiter. Der Sänger ist ganz offensichtlich bester Laune. »If you ever go to Hooooooouston…« Doch Vorsicht: Der fröhliche Schein trügt. »You better watch out for the man with the shining star, better know where you are going or stay where you are. I know these streets, I’ve been here before. I nearly got killed here during the Mexican War«. Vermutlich kann es in Houston ganz schön ungemütlich werden. Daher wohl auch der Rat an Nancy, »the other sister«: »Pray the sinner's prayer!« In einem Interview wurde Bob Dylan gefragt: »What's the Sinner's Prayer?« Merkwürdige Frage. Auch in Amerika scheinen die grundlegenden Kenntnisse der Bibel zu schrumpfen. Bob Dylan erklärte: »That's the one that begins with Father forgive me for I have sinned.« Doch das nur am Rande. Erneut staunt man: Bob Dylan kann richtig singen. Töne halten, Melodien variieren, Klangfarben modulieren. Der Text: Hier!

5. »Forgetful Heart«
Dieses Lied hat mich spontan an »Heart of Mine« erinnert - allerdings ist es lange nicht so gut. Wenn »Together Through Life« einen schwachen Beitrag enthält, dann ist es für mich diese etwas lustlos wirkende Ballade. Eine Art Lückenfüller, weil einige Gäste in unserer Bar gerade aufs Klo verschwunden oder zum Rauchen vor die Tür gegangen sind. »Forgetful Heart« ist nett, aber mehr auch nicht. Ich gehe auch mal eben raus, eine rauchen. Man hört die Klänge ja trotzdem durch die offene Schwingtür zur Bar. Der Text: Hier!

6. »Jolene«
Nun ist die Band auf der hölzernen Bühne wieder hellwach und begeistert bei der Sache. Also schnell zurück zum Tisch, das will ich nicht verpassen! Unwillkürlich singt man das Gitarrenmotiv nach jedem fröhlich gesungenen »Jolene« mit: »Da da da da dee doo doo.« Es fällt schwer, nicht zu lächeln, und warum sollte man auch bärbeißig dreinschauen? Ein vergnügtes Liebeslied im Blues-Schema. »Baby I am the king and you're the queen, Jolene«. Der Text: Hier!

7. »This Dream of You«
»Romance In Durango« von 1976 war so ein melancholisch-verträumtes Lied. Auch »Nettie Moore« schlug diese Richtung ein. Geige, Akkordeon und der akustische Bass bilden das Gerüst für »This Dream of You«, an dem der Traum sich emporranken darf. »There is a moment where all things become new again, but that moment might have come and gone. All I have and all I know is this dream of you that keeps me moving on«. Mancher in unserer Bar hat feuchte Augen, denn wer hätte solche Momente nicht im eigenen Leben zu spüren bekommen? Der Text: Hier!

8. »Shake Shake Mama«
Bevor jedoch die Stimmung zu sentimental werden könnte, folgt nun ein Lied von der Art, die Bob Dylan für seine Theme Time Radio Hour so gerne aus dem Archiv gefischt hat: Eine alte 45er Single, meinetwegen aus den 50er Jahren, von einem Blues-Musiker, der heute längst vergessen ist. Aber seine Musik wirkt noch immer. »Shake shake Mama, shake like a ship going out to sea. I get the blues for you baby, when I look up at the sun. Come back here, we can have some real fun. Shake shake Mama, shake until the break of day. I’m right here baby. I’m not that far away«. Kein tiefgründig-philosophischer Text, keine Mystizismen, einfach nur gute-Laune-Rock’n’Roll. Gut, dass der Kellner gerade Wein nachschenkt. Zum Wohl, jawohl! Der Text: Hier!

9. »I Feel a Change Comin’ On«
»What’s the use in dreaming, you got better things to do. Dreams never did work for me anyway, even when they are getting true«. Es ist ja wirklich so eine Sache mit den erfüllten Träumen. Man freut sich natürlich, aber die Sehnsucht, das Warten, das Hoffen, die Vorfreude fehlen plötzlich. Ein neuer Traum wird gesucht. Und womöglich findet man keinen mehr? Wenn es auf diesem Album einen Song gibt, der an die vorigen CDs anknüpft, dann wohl dieser. »I feel a change comin’ on, and the fourth part of the day is already gone«. Das erinnert an »If it keeps on raining, the levee’s gonna break, some people say this is the day only the Lord can make.« Oder an »Thunder on the mountain, for the love of God, you ought to have pity on yourselves!« Aber – und das ist erfreulich: Es bleibt bei der eher heiter-melancholischen Stimmung in unserer Bar. Das Lied ist alles andere als drohend oder depressiv. Es stimmt gar hoffnungsvoll und zuversichtlich, denn letztendlich ist dies ein Album mit Liebesliedern – »die Liebe höret nimmer auf«, meinte Paulus, der Apostel einst. Und so gilt auch bei dieser Ballade, was Bob Dylan schon seinerzeit in »I and I« sang: »The world could come to an end tonight, but that’s alright. She should still be there sleeping, when I get back.« Der Text: Hier!

10. »It’s All Good«
Der letzte Song ist dann Ironie oder gar Sarkasmus in Vollendung. Wie in »Everything Is Broken« von 1989 zählt Bob Dylan auf, was alles schief läuft, im Argen liegt, nicht in Ordnung ist. Aber, anders als 1989, kommentiert er jeweils mit einem trockenen »It’s all good«. Schön bitterböse, so richtig bitterböse, dieses Lied. »Wives leaving their husbands, big politicians telling lies, the restaurant kitchen is full of flies, brick by brick they tear you down, a teacup of water is enough to drown, you ought to know: if they could they would…«, jawohl so geht es zu heute in unserer Welt, aber: »Whatever goes down, it’s all good«. Da heben wir in der Bar zu den letzten Klängen die Gläser und prosten den verschmitzt grinsenden Musikanten zu. Der Abend geht zu Ende, wir müssen wieder hinaus in die ruppige Welt, aber wir haben eine wunderschöne Zeit zusammen genossen. »It’s All Good.« Der Text: Hier!

Dieses Album hat einen ganz besonderen Zauber. Es klingt alles wie ein spontaner Mitschnitt, einschließlich gelegentlicher kleiner Fehler an den Instrumenten, unverfälscht, nicht nachbearbeitet, sondern authentisch und direkt. Das Ganze allerdings auf dem klangtechnischen Niveau von heute. Eben wirklich so, als wäre man Gast in einer Bar, draußen sinkt die Sonne gen Horizont, drinnen sitzt man mit Freunden am Tisch, ein Glas Rotwein in der Hand, und hört einer Band zu, die auf einer zusammengezimmerten Bühne voller Hingabe und Begeisterung ihre Lieder spielt.

Zu finden ist die CD zum Beispiel hier bei Amazon: Together Through Life


P.S.: Das Interview, aus dem ich zitiert habe, endet mit der Frage: »A lot of performers give God credit for their music. How do you suppose God feels about that?«
Bob Dylan: »I’m not the one to ask. It sounds like people just giving credit where credit is due.«
Hier gibt es eine von Croz zusammengestellte PDF-Version des kompletten Gesprächs (16 Seiten): Flanagan talks with Dylan