Mittwoch, 13. Mai 2009

Gastbeitrag Jonathan Brink: Der Kreis der Einbeziehung

Was ich, wenn die Rede auf meine Teilnahme am emergenten Dialog kommt, immer wieder höre, ist die mit einem Vorwurf gekoppelte Frage: »Was tut ihr da eigentlich? Ihr redet doch nur!« Als sei es verwerflich, zu reden, auszutauschen, andere Gesichtspunkte und Meinungen kennen zu lernen, darüber zu diskutieren. Womöglich ist es typisch deutsch, immer etwas tun zu wollen? Resultate vorweisen zu müssen, damit etwas sinnvoll wird?

Nur typisch deutsch scheint es nicht zu sein. Aus dem folgenden Artikel aus Amerika von Jonathan Brink hatte ich neulich schon den enthaltenen Witz mit der emergenten Glühbirne zitiert. Ich finde, dass der Text zumindest einen Teil der Probleme sehr treffend beschreibt, die manche Kritiker auch hierzulande mit Menschen wie mir haben: Wir wollen weder eine neue Kirche oder Bewegung gründen, noch geben wir uns Statuten, Satzungen oder sonstige Regelwerke. Wir grenzen nicht die herkömmlichen Gemeindeformen oder Frömmigkeitsstile aus, sondern wir denken über ihre Formen hinaus und stellen uns vor, dass es vielleicht noch mehr Möglichkeiten und Ausprägungen gibt, Glauben zu leben. Wir reden nur. Jawohl. Und das ist auch gut so.

Hier der Text »The Circle of Inclusion« in meiner Übersetzung:

Kürzlich unterhielt ich mich mit jemandem, der über die emergente Gemeinde wirklich frustriert war. Er ärgerte sich außerordentlich über etwas, was er als andauernde Matschigkeit empfand, und ich verstand ihn sehr gut. Das Gespräch innerhalb der emergenten Gemeinde ist tatsächlich gewöhnungsbedürftig, weil die Vorgehensweise radikal anders ist als man es gewohnt war. Mein Gesprächspartner nahm an, dass wir nichts anderes tun, als herumzusitzen und zu reden. Aus seiner Sicht war unsere Anmaßung so tiefgreifend, dass wir so weit gesunken sind, nicht nur über die emergente Gemeinde zu reden, sondern uns auch über das Reden an sich zu unterhalten.

Das fällt mir dieser Witz ein:
Frage: Wie viele Blogger aus dem Bereich der emergenten Konversation braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?
Antwort: Einen, um die Glühbirne zu wechseln und darüber zu bloggen. 315, die das lesen, aber keinen Kommentar abgeben. Zwei, die ihre Meinung äußern, dass eine blinkende und farbige Glühbirne eher der heutigen Kultur angemessen wäre. 34, die in scharfem Ton diskutieren, dass all dieses Gerede über »hell« und »dunkel« relativ sei, völlig vom kulturellen, gesellschaftlichen und persönlichen Hintergrund und Erfahrungsschatz abhängig. 18, die dazu Zitate von Derrida, Baumann und McLuhan beisteuern und die grundlegende Dualität von Licht ins Gespräch bringen.

Es existiert dieser faszinierende Mythos, dass wir nichts anderes tun, als zu reden, was übrigens eine der grundlegendsten Formen ist, miteinander in Beziehungen zu treten. In der Kommunikation mit anderen lernt man, den eigenen Glauben auszudrücken.
Als ich meinem Gesprächspartner meine Definition - oder besser gesagt mein begrenztes Verständnis - in Worten ausdrückte, gefiel ihm das nicht: Die emergente Gemeinde ist eine gemeinsame Suche nach einer ganzheitlich ausgerichteten Ausdrucksform der Nachfolge nach dem Beispiel Jesu durch Liebe. Seine erste Frage war sofort: »Was glaubst du denn?« Ich antwortet: »Ich glaube an Jesus.« Seine unmittelbare Gegenfrage: »Aber was glaubst du bezüglich Jesus?«
Da dämmerte es mir: Indem sie sich weigert, sich durch traditionelle Definitionsmethoden definieren zu lassen, hat die emergente Gemeinde die traditionellen Werkzeuge des Streitens zunichte gemacht. Und darüber sind die Leute sauer. Ich könnte sagen, dass die emergente Gemeinde absolut an die Wahrheit glaubt, sie aber nicht gemäß traditioneller Mittel definiert. Man nennt die Wahrheit Liebe, was dann wiederum alles andere definiert.
Mein Freund suchte nach Unterschieden. Und indem er das tat, wendete er Mittel an, die schlussendlich etwas oder jemanden ausschließen würden. An irgend einem Punkt mussten unsere Unterschiede deutlich werden, eine Barriere zwischen den gegenseitigen Beziehungen würde geschaffen. Wenn wir anfangen, Menschen anhand dessen zu definieren, was sie glauben, anstatt anhand dessen, was sie sind, erschaffen wir natürliche Grenzen, die wiederum folgerichtig zur Ausgrenzung führen, selbst wenn wir das gar nicht beabsichtigen. Und diese Barrieren werden irgendwann uns selbst abtrennen. Am Ende haben wir dann 27.000 verschiedene Versionen von Gemeinde. Unser Wunsch nach Einheit wird zur Unmöglichkeit, weil wir mit einer Methode begonnen haben, die das Scheitern in sich trägt.

Wenn wir statt dessen mit der Liebe beginnen, erschaffen wir das, was meiner Meinung nach Jesus wirklich beabsichtig hat, nämlich einen Kreis der Einbeziehung. Liebe beginnt mit unseren Gemeinsamkeiten, nicht mit unseren Unterschieden. Menschen werden hereingezogen, anstatt sie aus dem Kreis hinauszudrängen. Über unsere Unvollkomenheit wird hinweggesehen, damit wir das Beste an einander entdecken. Barrieren werden zerstört, anstatt welche aufzurichten.
Wenn wir bei der Liebe anfangen, beginnen wir einen völlig anderen Weg des Wirkens. Wir beginnen mit der Vorstellung, dass wir alle in Gottes Bild erschaffen wurden. Unterschiede definieren uns nicht. Sie repräsentieren subtile Facetten eines anderen Teiles des Bildes Gottes, das im anderen Menschen zum Vorschein kommt. Das können wir nicht unter unsere Kontrolle bringen. Wir können nur daran teilhaben. Und wenn wir das tun, dann sind wir mit dem beschäftigt, was Jesus als einzigen wahren Weg des Lebens bezeichnet hat. Wir erschaffen ein unerschütterliches Fundament, auf dem aufgebaut werden kann, was es bedeutet, Mensch zu sein: Zu lieben.
Quelle: The Circle of Inclusion