Dienstag, 20. Oktober 2009

Schwule verbrennen! Hornviecher steinigen!

Am Sonntag hörte ich eine Predigt, die mich etwas irritierte, soweit ich überhaupt zuzuhören vermochte. Bei rund 75 Minuten Vortragslänge gelingt es mir eher nicht, bei der Sache zu bleiben. Ausgangspunkt waren einige Sätze aus dem 2. Petrusbrief:

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.

Viele bunte Bibeln Von diesen Versen aus spannte der Pastor seinen Bogen. Er setzte voraus, dass Petrus, als er diesen Brief schrieb, die ganze Bibel gemeint habe, einschließlich Neues Testament natürlich. Denn »die Schrift« beinhalte ja selbstverständlich auch das, was Paulus geschrieben hat. Oder die anderen Autoren des Neuen Testamentes. Verzückt und kopfnickend folgten die Versammelten, soweit ich sie im Blickfeld hatte, den Ausführungen vom Podium, die zunächst nichts anderes waren als die klassische Kurzschlussargumentation: Die Bibel hat recht, weil in der Bibel steht, dass die Bibel recht hat. Als hätte irgend einer der (zweifellos inspirierten) Autoren beim Schreiben ein ledergebundenes Buch, erhältlich auch als Paperback in allerlei bunten Ausführungen, im Sinn gehabt…
Doch zurück zur Predigt, soweit ich zu folgen in der Lage war. Selbstverständlich sei in dem, was Petrus da schrieb, meinte der Pastor, auch das eingeschlossen, was heutzutage als »Prophetien« zu Gehör gebracht wird. Denn eine Weissagung werde ja schließlich, wie Petrus schreibt, nicht aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern getrieben von dem Heiligen Geist würden Menschen im Namen Gottes reden.
Ich überlegte, was Paulus, der ja nicht immer mit Petrus übereinzustimmen bereit oder in der Lage war, dazu sagen würde; hatte er doch den Korinthern empfohlen, dass sie zunächst, wenn es denn sein muss, alle prophetisch reden, und dann das Geredete prüfen und gegebenenfalls verwerfen sollten.
Als der Pastor anschließend damit fortfuhr, die inzwischen weit überfällige Erweckung in seiner schrumpfenden Gemeinde nun für Oktober oder November 2009 anzukündigen, schweifte ich gedanklich ab.

Als ich wieder zu mir - beziehungsweise zum Zuhören - kam, war gerade die Rede davon, dass Gottes Wort nun einmal wörtlich zu nehmen und nicht etwa auszulegen sei.

Ich schweifte schon wieder von hinnen, denn mir fiel ein Brief ein, der bereits etliche Jahre (in Variationen) im Internet kursiert. Er ist an einen der unzähligen »christlichen« Radio- und TV-Stars gerichtet, die wohl auch hierzulande inzwischen via Bibel-TV oder God-Channel oder wie diese Sender heißen, zu besichtigen sein sollen. Es geht um das wörtlich nehmen. Der Brief gefällt mir besser als die Predigt, die ich am Sonntag, soweit ich nicht schweifte, gehört habe, denn er ist erheblich kürzer:

Liebe Dr. Laura!

Vielen Dank, dass Sie sich so aufopfernd bemühen, den Menschen die Gesetze Gottes näher zu bringen. Ich habe einiges durch Ihre Sendung gelernt und versuche das Wissen mit so vielen anderen wie nur möglich zu teilen. Wenn etwa jemand versucht seinen homosexuellen Lebenswandel zu verteidigen, erinnere ich ihn einfach an das Buch Mose 3, Leviticus 18:22, wo klargestellt wird, dass es sich dabei um ein Gräuel handelt. Ende der Debatte.

Ich benötige allerdings ein paar Ratschläge von Ihnen im Hinblick auf einige der speziellen Gesetze und wie sie zu befolgen sind.

  • Wenn ich am Altar einen Stier als Brandopfer darbiete, weiß ich, dass dies für den Herrn einen lieblichen Geruch erzeugt (Lev. 1:9). Das Problem sind meine Nachbarn. Sie behaupten, der Geruch sei nicht lieblich für sie. Soll ich sie niederstrecken?
  • Ich würde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es in Exodus 21:7 erlaubt wird. Was wäre Ihrer Meinung nach heutzutage ein angemessener Preis für sie?
  • Ich weiß, dass ich mit keiner Frau in Kontakt treten darf, wenn sie sich im Zustand ihrer menstrualen Unreinheit befindet (Lev. 15:19-24). Das Problem ist, wie kann ich das wissen? Ich hab versucht zu fragen, aber die meisten Frauen reagieren darauf pikiert.
  • Lev. 25:44 stellt fest, dass ich Sklaven besitzen darf, sowohl männliche als auch weibliche, wenn ich sie von benachbarten Nationen erwerbe. Einer meiner Freunde meint, dass würde auf Polen zutreffen, aber nicht auf Österreicher. Können Sie das klären? Warum darf ich keine Österreicher besitzen?
  • Ich habe einen Nachbarn, der stets am Samstag arbeitet. Exodus 35:2 stellt deutlich fest, dass er getötet werden muss. Allerdings: Bin ich moralisch verpflichtet ihn eigenhändig zu töten?
  • Ein Freund von mir meint, obwohl das Essen von Schalentieren, wie Muscheln oder Hummer, ein Gräuel darstellt (Lev. 11:10), sei es ein geringeres Gräuel als Homosexualität. Ich stimme dem nicht zu. Könnten Sie das klarstellen?
  • Mit Brille zum Altar?In Lev. 21:20 wird dargelegt, dass ich mich dem Altar Gottes nicht nähern darf, wenn meine Augen von einer Krankheit befallen sind. Ich muss zugeben, dass ich Lesebrillen trage. Muss meine Sehkraft perfekt sein oder gibt's hier ein wenig Spielraum?
  • Die meisten meiner männlichen Freunde lassen sich ihre Haupt- und Barthaare schneiden, inklusive der Haare ihrer Schläfen, obwohl das eindeutig durch Lev. 19:27 verboten wird. Wie sollen sie sterben?
  • Ich weiß aus Lev. 11:7-8, dass das Berühren der Haut eines toten Schweines mich unrein macht. Darf ich aber dennoch Fußball spielen, wenn ich dabei Handschuhe anziehe?
  • Mein Onkel hat einen Bauernhof. Er verstößt gegen Lev. 19:19, weil er zwei verschiedene Saaten auf ein und demselben Feld anpflanzt. Darüberhinaus trägt seine Frau Kleider, die aus zwei verschiedenen Stoffen gemacht sind (Baumwolle/Polyester). Er flucht und lästert außerdem recht oft. Ist es wirklich notwendig, dass wir den ganzen Aufwand betreiben, das komplette Dorf zusammen zu holen, um sie zu steinigen (Lev. 24:10-16)? Genügt es nicht, wenn wir sie in einer kleinen, familiären Zeremonie verbrennen, wie man es ja auch mit Leuten macht, die mit ihren Schwiegermüttern schlafen? (Lev. 20:14)

Ich weiß, dass Sie sich mit diesen Dingen ausführlich beschäftigt haben, daher bin ich auch zuversichtlich, das Sie uns behilflich sein können. Und vielen Dank nochmals dafür, dass Sie uns daran erinnern, dass Gottes Wort ewig und unabänderlich ist.

Ihr ergebener Jünger und bewundernder Fan
XYZ

Na denn! Lasst uns die Homosexuellen verbrennen und ein paar Stiere steinigen. Oder war das umgekehrt? Oder sollte ich mir für Dreisiebzich die CD von der Predigt kaufen, die ich gedanklich dermaßen schweifend wohl nicht verstanden habe?

P.S.: Wie schön, dass Berlin so viele sehr verschiedene Kirchen und Gemeinden hat. Bis Weihnachten wollen wir so gut wie jeden Sonntag eine andere kennen lernen oder statt Gottesdienst einen Waldspaziergang machen. Oder ausschlafen. Oder sonst was.