Sonntag, 17. Oktober 2010

Damals. – Teil 2

Bevor ich mich wieder erinnern lasse, dass bei Fortsetzungserzählungen ein Link zu den vorherigen Teilen zum guten Ton gehört, sei der Verweis hiermit erteilt: [Teil 1]

Und was kommt nun? Na klar: Teil 2.

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Elisabeth wurde schwanger, gegen alle Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten. Nun hätte man meinen mögen, dass sie von ihren Zustand voller Freude Freunden, Nachbarn und Verwandten erzählt hätte, denn immerhin war nun die Schande, die zu jener Zeit mit der Kinderlosigkeit einher ging, Vergangenheit geworden. Doch sie versteckte sich vor den Menschen, nur Zacharias wusste, dass Gabriel ihm tatsächlich eine Botschaft Gottes gebracht hatte.

Fünf Monate lang zog sich Elisabeth zurück und war zufrieden damit, dass der Herr sie mit Wohlgefallen angesehen und »die Schmach von mir genommen« hatte, wie sie sich ausdrückte. Sie freute sich und wollte ihre Freude mit niemandem teilen. Oder wollte sie ihre Freude von niemandem trüben lassen?

Eigentlich ging es ja niemanden etwas an, ob ein alt gewordenes Paar das nächtliche Ruhelager nur noch für den Schlaf nützte oder nach wie vor Gefallen am Verschmelzen der beiden Körper fand. Aber die Nachbarn, sie redeten eben gerne und viel und nicht immer freundlich … da war es wohl besser, sich nicht zum Gegenstand der Unterhaltungen zu machen.

Als Elisabeth im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft war, hatte Gabriel in einer Nachbarstadt eine weitere Botschaft zu überbringen.

 Maria, frisch verlobt.Er suchte in Nazareth ein Mädchen auf, eine gewisse Maria. Seine Botschaft war noch um einiges unerhörter, als die Nachricht an Zacharias, aber dazu kommen wir gleich. Erst wollen wir noch festhalten, dass Maria verlobt war, mit einem jungen Mann namens Joseph. Seinerzeit und in jener Gegend gab es zwischen verlobt und verheiratet manche Unterschiede, und einer davon bestand darin, dass ein Verschmelzen der Körper – profan würde man wohl das Wort Sex wählen – und somit eine Schwangerschaft ausgeschlossen war. Es gab zwar Frauen, die das Bett mit Männern teilten, mit denen sie nicht verheiratet waren, genauso wie es Männer gab, die ständig auf der Suche nach solchen Frauen waren, aber für Maria wäre das undenkbar gewesen, wie für die meisten jungen Menschen. Wir sind, wie gesagt, weit in der Zeit zurück gereist und mancher mag das heute für unvorstellbar halten. Jedoch – es war nun einmal so.

Als der Engel bei Maria auftauchte, erschrak sie nicht so sehr über das unerwartete Erscheinen des Boten, sondern mehr über seine merkwürdigen Worte.

»Gegrüßet seist du, Holdselige«, sprach Gabriel das Mädchen nämlich an, »der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Frauen.«

Holdselig, gebenedeit – solche aus unserem aktiven Wortschatz verschwundenen Wörter machen es uns etwas schwer. Aber sie sind immerhin bei jemandem zu finden, der diese Geschichte vor längerer Zeit erzählt hat, und er hat seine Worte stets mit Bedacht gewählt. Wir wollen versuchen, uns begreiflich zu machen, warum Maria bei dieser Anrede erschrak.

Sie war ein ganz normales Mädchen, keine Fürstentochter, nicht verlobt mit einem Königssohn, sondern mit einem Tischler. Doch der unvermutete und unheimliche Besucher grüßte sie wie eine hochgestellte Persönlichkeit. Was sollte diese übertriebene Anrede, welchen Zweck verfolgte der sonderbare Mann, der da vor ihr stand? Maria war zu Recht erschrocken. Wie Zacharias vor seinem Räucheraltar natürlich wegen des unerwarteten und unerklärlichen Auftauchens einer Gestalt, aber eben auch angesichts der völlig unpassenden Worte für ein junges, normales, überhaupt nicht außergewöhnliches Mädchen.

Hatte Gabriel vor lauter Ehrerbietung das Naheliegende, nämlich ein paar beruhigende Worte, übersehen? Immerhin sagte er nun im zweiten Satz: »Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott.«

Göttliche Gnade – das war nun durchaus ein Grund, sich nicht zu fürchten, oder sich wenigstens nicht mehr allzu sehr zu fürchten, so irritierend auch der Beginn der Ansprache gewesen war. Marias Herz klopfte wohl etwas weniger wild, als sie weiter zuhörte.

»Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, dem sollst du dann den Namen Jesus geben. Er wird ein bedeutender Mensch sein, man wird ihn als Sohn des Höchsten bezeichnen. Gott der Herr wird ihm den Königsthron seines Vaters David geben.«

David? Maria war nun noch verwirrter als zuvor. Sie sollte und wollte doch Joseph heiraten, aber wenn der Vater ihres Kindes David hieß, dann wurde aus der geplanten Hochzeit wohl nichts? Und warum sollte ausgerechnet ihr Sohn, wenn sie irgendwann, in drei oder vier Jahren vielleicht, einmal einen bekommen würde, ein bedeutender Mann werden, den die Leute noch dazu als Sohn des Höchsten bezeichnen würden? Darüber hinaus war es irritierend, dass von einem Königsthron die Rede war. Der Königsthron Davids stand für die Herrschaft über dieses Volk, und die war nun schon eine ganze Weile vorbei, da die Römer nun das Sagen hatten. Maria schüttelte den Kopf angesichts der vielen Ungereimtheiten. Sie versuchte, weiter zuzuhören, denn der Engel war noch nicht fertig.

»Er wird für immer König sein über das Haus Jakob, sein Königreich wird nämlich kein Ende haben.«

Nun, als das Mädchen die Gelegenheit hatte, etwas zu dieser unverständlichen Botschaft zu sagen, fiel ihr zuerst die biologische Voraussetzung für das ganze Gedankengebäude ein: »Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?«

Von keinem Mann wissen, das bedeutete nichts anderes, als dass sie weder mit ihrem Joseph noch sonst einem Mann eine intime Beziehung hatte, und auch nicht haben wollte, bevor sie rechtmäßig und ordnungsgemäß verheiratet war. Einen David, der als Bräutigam in Frage kommen sollte, kannte sie noch nicht einmal. Ganz zu schweigen von einem David, der Anspruch auf das Königtum hätte.

Gabriel hatte den Priester Zacharias ein paar Monate zuvor mit einer temporären Verstummung bedacht, als dieser Einwände gegen die Botschaft vorgebracht hatte. Mit Maria ging er nun doch behutsamer um. Anstatt ihre Frage als Unglaube oder Widerborstigkeit auszulegen und zu ahnden, erklärte er ihr geduldig, wie sie zu einem Sohn kommen würde.

»Der heilige Geist wird über dich kommen, die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Aus diesem Grund wird auch das Heilige, das du zur Welt bringen wirst, Sohn des Höchsten genannt werden.«

Vorstellen konnte sich das Mädchen nach dieser Erklärung immer noch nichts, obwohl der Begriff heiliger Geist ihr aus dem Tempel und der Synagoge nicht ganz fremd war. Vermutlich las Gabriel die Verwirrung in ihren Augen und gab ihr noch ein Zeichen mit auf den Weg, an dem sie erkennen konnte, dass er ihr wirklich eine Botschaft von Gott gebracht hatte. Er verriet Maria ein Geheimnis: »Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn. Und das in ihrem hohen Alter. Alle gingen davon aus, dass sie unfruchtbar wäre, und jetzt ist sie im sechsten Monat. Bei Gott ist nämlich kein Ding unmöglich.«

Elisabeth sollte schwanger sein? Ausgerechnet diese nette alte Dame? Maria beschloss, nicht weiter nachzudenken, was alles möglich oder unmöglich war. Sie glaubte an Gott und kannte die Geschichten von den Wundern, die in der Vergangenheit geschehen waren. Vom Wasser in der Wüste für ein ganzes Volk bis zum lodernden Feuer auf einem Altar, der vorher samt Opfer darauf mit Wasser geradezu überflutet worden war. Selbstverständlich konnte dieser Gott tun, was er sich vorgenommen hatte, ob man das als Mensch nun begriff oder nicht. Also antwortete das Mädchen nur: »Ich bin eine Dienerin des Herrn, mir geschehe, was du eben angekündigt hast.«

Der Engel war zufrieden, er hatte seinen Auftrag erfüllt, Maria hatte eingewilligt. Er verließ die Holdselige.

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Die Fortsetzung? Die folgt demnächst.