Samstag, 4. Dezember 2010

Von der fortschreitenden Evolution des Weihnachtsbaumes

Der Weihnachtsbaumersatz in Berlin In Berlin hat sich so mancher ereifert, weil an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in diesem Jahr kein Weihnachtsbaum herkömmlicher Art, sondern ein eher amüsantes kegelförmiges, aufblasbares Plastikgebilde aufgestellt wurde, das sich tagsüber in keuschem Weiß präsentiert und bei Einbruch der Dunkelheit zu psychedelischen Farbspielen erwacht.

Ich finde das so tragisch nicht, denn der Weihnachtsbaum ist ja an und für sich – wenn man in geschichtlichen Zeiträumen denkt – eine ziemlich junge Erfindung und darf sich daher durchaus noch weiter entwickeln - meinetwegen auch zum Kunststoffkegel.

Die Entwicklung des Brauches, einen Weihnachtsbaum aufzustellen, hat keinen eindeutigen Anfang, sondern setzt sich aus Traditionen verschiedener Kulturen zusammen. In immergrünen Pflanzen steckt Lebenskraft, darum glaubte man, Gesundheit ins Haus zu holen, wenn man sein Zuhause damit schmückte. Bereits die Römer bekränzten zum Jahreswechsel ihre Häuser mit Lorbeerzweigen. Einen Baum zur Wintersonnenwende zu schmücken, ehrte im Mithras-Kult den Sonnengott. Auch in nördlichen Gegenden wurden im Winter schon früh Tannenzweige ins Haus gehängt, um bösen Geistern das Eindringen und Einnisten zu erschweren.

So etwa um das Jahr 1550 herum soll dann der Brauch des »christlichen« Weihnachtsbaumes aus diesen Vorläufern entstanden sein. Allerdings zunächst noch gegen den Widerstand der Kirche. In einer um 1650 verfassten Schrift ereiferte sich der Prediger Johann Conrad Dannhauer: »Unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit oft mehr als mit Gottes Wort begehet, ist auch der Weihnachts- oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt, und ihn hernach abschüttelt und abblühen (abräumen) lässt. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel.«

Die Kirche, der große Waldgebiete gehörten, schritt seinerzeit gegen das Plündern des Waldes zur Weihnachtszeit ein und billigte diesen »heidnischen Brauch« nicht. Nach und nach aber gab sie den Widerstand auf. Als in evangelischen Kreisen der Baum zum festen Weihnachtssymbol wurde, womit man sich ursprünglich von der katholischen Sitte des Krippen-Aufstellens unterschied, trat der Christbaum seinen Siegeszug auch in der katholischen Kirche an. Man wollte wohl nicht altmodisch wirken; außerdem nahmen in evangelischen Gegenden die Krippenaufstellungen zu. Womöglich sehen wir hier erste ökumenische Strömungen am Werk?

Es war übrigens Goethe, der den Weihnachtsbaum in »Die Leiden des jungen Werther« 1774 erstmals in die deutsche Literatur einführte. Werther kommt am Sonntag vor Weihnachten zu Lotte und spricht von den Zeiten, da einen die unerwartete Öffnung der Türe und die Erscheinung eines »aufgeputzten Baumes« mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln in paradiesisches Entzücken versetzte.

Hätte Herrn Werther beziehungsweise Herrn Goethe das Wunderwerk am Breitscheidtplatz in ähnlich paradiesisches Entzücken versetzen können? Kaum. Aber warum soll sich ein Brauch, der mit römischen Loorbeerkränzen und einem Baum zu Ehren des Sonnengottes begonnen hat, nicht weiterentwickeln? Zur Abwehr böser Geister wird die Tanne oder Fichte ja sowieso nicht mehr aufgestellt; und zu all den Karussells und Kirmesvergnügungen auf den sogenannten Weihnachtsmärkten und den geschmacklosen quietschbunten Flackerbeleuchtungen in zahlreichen Fenstern passt doch letztendlich das Gebilde an der Gedächtniskirche viel besser als ein altmodisches Gehölz aus dem Wald…

P.S.: Historische Entwicklung des Weihnachtsbaumbrauches zum Teil übernommen aus Wikipedia