Montag, 7. Februar 2011

Jessika – ein Verhängnis /// Teil 9

Der eine oder die andere wünscht sich Verknüpfungen zu dem, was bisher geschah: [Teil 1] /// [Teil 2] /// [Teil 3] /// [Teil 4] /// [Teil 5] /// [Teil 6] /// [Teil 7] /// [Teil 8]

Jessika sollte sich, so der mehrheitliche Wille der geschätzten abstimmenden Leserschaft, auf den Weg zu Giacomos Familie machen, um daselbst die Nacht zu verbringen. Brav, wie ich nun einmal bin, folge ich in dieser Fortsetzung dem Leservotum. Bittesehr.

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Giacomo fragte: »War das Ihr … dieser teuflische Birbante? Der Kerl, der Sie ausgesetzt hat? Farabutto! Ich erwische dich!« Er gab Gas.

Jessika starrte geradeaus und stöhnte.

»Wir können ihn einholen. Ich fahre sonst nicht so schnell, aber wenn es darauf ankommt …«

»Nein, wir lassen ihn fahren. Ich will diesen Kerl vorerst nicht wiedersehen.«

Der Lieferwagen wurde wieder langsamer, die Rücklichter des schwarzen Geländewagens verschwanden in der zunehmenden Dunkelheit.

Jessika nahm zwei Zigaretten aus der Packung, zündete beide an und reichte eine ihrem Chauffeur hinüber. Sie rauchten schweigend.

 

Nach einer viertel Stunde wurde Giacomo unruhig, rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Che palle«, schimpfte er, »mi scappa ...«

Jessika kicherte und meinte: »Dann halten Sie doch an, für Männer ist das ja kein großes Problem.«

»Ich dachte, ich halte durch bis zu Hause, aber der viele Kaffee vorhin, der ist Schuld.«

»Nein. Schuld ist derjenige, der ihn getrunken hat. Freiwillig.«

Giacomo grinste und gab zurück: »Bei jedem Kunden bekomme ich Kaffee. Gehört zum Geschäft. Wenn ich ablehne, ist das unhöflich. Also muss ich ihn trinken.«

»So so.«

Der Wagen hielt am Straßenrand. Giacomo hatte große Eile, er ging nur drei Schritte zum nächsten Baum und bewässerte ihn dann ausgiebig. Als er wieder einstieg, war er sichtlich entspannter.

»Warum pinkeln Männer eigentlich immer an Bäume, wenn welche in der Nähe sind?«, fragte Jessika.

»Noch lieber pinkeln Männer in einen Bach oder einen Fluß.«

»Das mag sein. Aber in Filmen ist es meistens ein Baum, wenn draußen gepinktel wird. Wenn der Regisseur überhaupt daran denkt, dass seine Figuren auch mal müssen müssen.«

Er stimmte zu: »Daran denken viele Filmemacher nicht. Auch Schriftsteller. Das hat mich schon als Kind manchmal aufgeregt.«

Jessika dachte an Bernd zurück, der in seinen Texten den Protagonisten immer zumindest Zeitspannen zugebilligt hatte, in denen sie ihr Geschäft erledigen konnten, auch wenn das in der Erzählung nicht erwähnt wurde. Sie hatten mehrere Staffeln der Serie 24 miteinander angeschaut und sich häufig darüber amüsiert, dass nicht nur Jack Bauer, sondern auch andere Figuren offenbar über 10 oder 20 oder gar 24 Stunden weder Darm noch Blase entleeren mussten. Ganz abgesehen davon, dass vor allem die Damen auch nach 20 Stunden Einsatz unter höchster Anspannung noch über wunderbar frisierte Haare und morgendlich frischen Teint verfügten.

»Ach Bernd …«, flüsterte sie.

Giacomo hatte offenbar gute Ohren. Er fragte: »Bernd heißt der Vigliacco, der Sie ausgesetzt hat?«

»Nein, Bernd war ein Freund, der beste, vielleicht der einzige Mann, den ich jemals geliebt habe. Er ist tot.«

Giacomo blickte zu ihr hinüber. »Sie sind doch noch so jung … Sie werden schon noch die Liebe finden. Oder die Liebe findet Sie. Sie sind doch höchstens – ich kann schwer schätzen, aber ich meine, na ja, Sie sind höchstens 25 Jahre alt?«

»Das Alter«, lächelte Jessika, »ist relativ. Ich bin 18. Ich bin 30. Ich bin 400. Ich bin 12.«

Er lachte. »Geheimnisvoll, sehr affascinante, liebe Signorina. Mein Sohn ist 12, meine Tochter 14. Und Sie sind nicht älter als 25, da möchte ich wetten.«

 

Giacomos GehöftSchließlich erreichten sie Bolsena, der Lieferwagen hielt vor einem etwas heruntergekommenen Gehöft. Giacomo hatte unterwegs erzählt, dass sein Vater schon seit Jahren kaum noch das Nötigste hatte tun können, er hatte seine schwindenden Kräfte auf die Landwirtschaft konzentriert und am Haus so gut wie gar nichts mehr instand gehalten oder repariert. Als es gar nicht mehr ging, war Giacomo schließlich mit seiner Familie zurück in die Heimat gezogen, nun mussten sie Schritt für Schritt aufholen, was über Jahre versäumt worden war. Der Obst- und Gemüsehandel lief recht gut, es gab einen festen Kundenstamm, der auf frische Ware aus eigenem Anbau wert legte, und in den letzten Wochen kamen neue Kunden hinzu, da Giacomo auf jegliche Chemie verzichtete und damit auch Werbung machte. Die Qualität seiner Ware sprach sich herum.

Sie gingen durch den Flur in die Wohnstube, die beiden Kinder sprangen auf, um ihren Papa zu begrüßen, Giacomos Frau kam aus der Küche und küsste ihn zärtlich.

Er stellte Jessika seiner Familie vor. »Diese junge Dame ist von ihrem Freund ausgesetzt worden, ohne Gepäck. Sie hat Gianna mit dem Ausladen geholfen, mich einen fancazzista geschimpft und zum Dank habe ich ihr angeboten, hier zu übernachten.«

Er lachte fröhlich, als Jessika beim Wort fancazzista leicht rot wurde und erklärte dann: »Das ist Alessia, meine wunderbare Frau, das mein prächtiger Sohn Luca und dieses bezaubernde Mädchen meine Tochter Sofia.«

Alessia nahm die etwas verdutzte Jessika sofort in die Arme, drückte sie und sagte: »Du armes Mädchen, solch einen Schuft hattest du als Freund? Natürlich bleibst du hier über Nacht, und bestimmt hast du jetzt Hunger?«

»Ich – danke schön, vielen Dank, ich müsste vor allem mal – wo ist denn das Bad?«

Sofia nahm Jessika bei der Hand und zog sie mit sich. »Hier im Flur die letzte Tür links, der Lichtschalter ist draußen. Wie heißt du eigentlich?«

»Jessika.«

»Das ist ein toller Name!«

»Danke. Sofia ist auch schön. Passt zu dir. Es bedeutet Weisheit.«

Die Kleine grinste und meinte: »Dann lass ich dich jetzt endlich pinkeln gehen, ist das nicht sehr weise von mir?«

Als Jessika wieder ins Wohnzimmer trat, hörte sie, wie Luca fragte: »Und was ist, wenn Nitzrek kommt?«

»Ach, hör auf!«, schimpfte Giacomo. »Nitzrek existiert nicht. Außer in deinem Kopf.«

Jessika blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Schweißperlen erschienen ihr auf der Stirn, sie spürte, dass ihre Knie weich wurden. Halt suchend griff sie nach der Türklinke und atmete tief durch, um den grauen Schleier vor ihren Augen zu vertreiben.

Sofias helle Stimme erklang: »Ist dir nicht gut, Jessika?«

Alesia sprang auf und eilte zu Jessika, nahm sie am Arm und führte sie zum Sofa. »Du bist bestimmt ganz entkräftet, und all die Aufregung, ohne Gepäck mitten in Italien ausgesetzt ... setz dich hin, ich hole dir einen Teller Suppe.«

Jessika sank in das Polster und wollte sich bedanken, wollte widersprechen, wollte begreiflich machen, dass es ihr gut ging. Aber als sie den Mund öffnete, stöhnte sie nur »Nitzrek«.

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Nun denn, geschätzte Blogbesucher, was denn nun?

 

Nitzrek ist...
...nicht von dieser Welt und böse.
...nicht von dieser Welt und gut.
...ein Mensch. Egal, ob gut oder böse.
Auswertung

Fortsetzung folgt.