Freitag, 26. August 2011

Jessika–die Konfrontation /// Teil 12

So. Also nun. Dies ist das zweite Ende der Geschichte, das ich geschrieben habe. Mit der ersten Version konnte ich mich nicht so recht anfreunden ... die beste aller Ehefrauen hatte ebenfalls Einwände.

Wer noch einmal nachsehen will, was bisher geschah: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10] [Teil 11]

Neugierig wie alles endet? Bitteschön:

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Ich hatte keine Ahnung von Waffen. Im Fernsehkrimi jemanden anlegen und schießen sehen – das ist das eine, aber selbst dieses Metallgerät in der Hand zu halten, aus dem auf Wunsch tödliche Projektile in die angepeilte Richtung entwichen, war etwas ganz anderes.

»Ist das Ding entsichert oder so?«, fragte ich.

Jessika nickte. »Nur abdrücken.«

Die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, aufzuschreiben (und zu lesen, was die geschätzten Empfänger dieser Zeilen betrifft) dauert wesentlich länger als die Momente vor der Tür zur Toilette lang waren. Es war eine Art Wirbelwind in meinem Kopf, da waren Satzfetzen und einzelne Worte, die sich gegenseitig verfolgten, überlagerten eliminierten, verstärkten …

Jetzt bekomme ich die Kontrolle über mein Leben zurück – Illusionen bis zum Ende - wir sind nicht einschätzbar, nicht von euch Menschen und auch nicht von unseresgleichen- liebst du mich? – it ain’t why why why - du träumst also, dass du geträumt hast – ich bin nicht hier, es gibt keine Jessika - Ur Local is protected by all applicable Paradox Laws. Do you agree?- warum sitzt hier ein Mädchen im roten Kleid? Das habe ich nicht gewollt – nicht einschätzbar – how does it feel? – mein Leben zurück haben - Ich. Habe. Den. Verstand. Verloren. – nasse Badehose, dreizehn Jahre alt, heftige Erektion – das ist kein Buch hier, das ist dein leben - Jessifranziska, Fanjekakaka – jetzt drehst du wirklich durch – ich werde mein Leben wieder bekommen – viele Thriller gelesen, und nun? - nicht einschätzbar – wie viele Schüsse sind in dem Ding eigentlich drin? – in diesen Büchern sind auch Opfer, und vielleicht suche ich einen Weg, von ihnen zu lernen – wir sind nicht einschätzbar - das traust du dich nicht! – kann sie Gedanken lesen? - liebst du mich?

Die Tür ging auf, ein beleibter Herr in Jeans und T-Shirt kam auf uns zu. Auf mich zu. Jessika, die eben noch neben mir gestanden hatte, war vermutlich hinter mich getreten. Der Mann sah die Waffe und zögerte.

»Ich kann nichts dafür«, sagte ich, »andere haben entschieden. Anonym abgestimmt. Es tut mir leid.«

Dann zielte ich auf seinen Unterarm und drückte ab. Der Fernfahrer – ich ging davon aus, dass es sich um diesen handelte – taumelte einen halben Schritt zurück und starrte mich überrascht an. Fühlt er Schmerz? Irgend etwas? Denkt er etwas? Auf dem T-Shirt, dort wo sich der Bauch wölbte, entstand rund um das nagelneue Loch, das es Sekunden zuvor noch nicht gegeben hatte, ein roter Fleck, der ungefähr die Form des Bodensees annahm.

Ich habe falsch gezielt. Scheiße! Ich wollte doch den Arm … ich muss ihm helfen, einen Arzt holen - keine Zeit, ich muss erst frei werden von diesem Albtraum.

Ich fuhr herum und schoss Jessika drei Kugeln in den Kopf, bevor sie begreifen konnte, was ich vorhatte.

Jessika? Die Frau sieht ganz anders aus …wieso ist sie auf einmal blond …

Während sie zu Boden sank, drehte ich mich wieder zu dem Mann am Boden. Er blutete und blutete, sein Gesicht sah im Schimmer der Laternen aus wie Wachs. Atmete er noch?

Wo ist mein Telefon? Ich muss Hilfe holen.

Mein Plan, in den Sekunden mit der Waffe in der Hand entstanden, war gescheitert. Es war wiederum etwas mit mir geschehen, was ich nicht geplant und nicht gewollt hatte. Ich hatte ihn nur verletzen wollen, leicht verletzen, und dann Jessika töten und verschwinden.

Töten? Man kann doch niemanden töten, der gar nicht existiert.

Ich schloss die Augen, mir war übel und schwindelig. Ich wollte die blonde Leiche nicht sehen, ich wollte die Kugel zurückholen, die im Bauch des Fernfahrers gelandet war, ich wollte aufwachen in einer Welt, in der es keine Jessika gab, keine Jana Nováková, keine Alesia und keinen Luca. Von Nitzrek ganz zu schweigen.

Ich hörte Schritte hinter mir, dann traf mich ein Schlag auf den Kopf und ich versank in gnädiger Bewusstlosigkeit.

 

Der Rest meiner Geschichte ist schnell erzählt, und mir bleibt auch nicht mehr viel Zeit, die letzten Absätze aufzuschreiben. Der Angestellte hatte im Verkaufsraum der Tankstelle die Schüsse gehört und die Polizei alarmiert. Dann nahm er einen stabilen Knüppel, den er unter der Theke aufbewahrte, und schlich um das Gebäude. Er sah mich mit einer Pistole in der Hand, zwei blutende Menschen am Boden und schlug mich von hinten nieder, ohne noch lange zu zögern.

Die Polizisten trafen kurz darauf ein, legten mir Handschellen an bevor ich zu mir kam und dann, nach oberflächlicher Untersuchung durch einen Arzt, brachte man mich ins Gefängnis. Mein Leben als freier Mensch war mit meinem Versuch, mich von den Nephilim zu befreien, vorbei.

Die Tatwaffe trug meine Fingerabdrücke. An meiner Hand wurden Schmauchspuren nachgewiesen. Es hätte zu nichts geführt, irgend etwas zu leugnen, das hatte ich auch gar nicht vorgehabt. Trotzdem bin ich überzeugt davon, zu Unrecht in dieser Anstalt hier zu sitzen.

Der Fernfahrer – nun ja, ich hatte ihn erschossen. Er war verblutet. Allerdings verstand und glaubte niemand die Zwangslage, in der ich das getan hatte, und niemand glaubte mir wohl, dass ich den Arm hatte treffen wollen. Die tote junge Frau wurde als 29jährige Tschechin identifiziert, eine gewisse Lída Borová, die Geliebte des Fernfahrers.

»Warum hätte ich einen mir völlig Fremden und seine Freundin, die ich genauso wenig kannte, erschießen sollen?«, hatte ich in den Verhören immer wieder gefragt. »Ich habe mich gegen eine Nephilim verteidigt, und dabei versehentlich den Mann getötet, den ich nur hatte verletzen wollen. Er hätte sonst ein Inferno im Tunnel an der Grenze ausgelöst.«

Man hatte Psychologen hinzugezogen, in endlosen Gesprächen immer wieder versucht, mir »die Wahrheit« zu entlocken – dabei sagte ich die ganze Zeit nichts anderes als die Wahrheit. Genau die Wahrheit, die ich hier aufgeschrieben habe.

Es ist, das erkenne ich inzwischen deutlich, eine Verschwörung. Die ermittelnden Beamten haben, so wurde mir berichtet, im Hotel Klika in Budweis vorgesprochen. Dort wurde ausgesagt, dass man mich als Gast geschätzt habe, aber es sei doch aufgefallen, dass ich gelegentlich Selbstgespräche geführt habe, als säße jemand an meinem Tisch. Eine junge Frau mit einem roten Mercedes Cabriolet habe man nicht gesehen, und schon gar nicht sei sie Gast im Hotel gewesen.

Die Polizei in Budweis wusste nichts von einem toten Kind auf dem schwarzen Turm, angeblich. Ich nehme an, dass die Nephilim die Akten oder die Leiche haben verschwinden lassen. So etwas ist ja für ihresgleichen eine der leichteren Übungen.

Und - das ist eigentlich der deutlichste Hinweis auf die Verschwörung - sie haben auch, auf eine mir unerklärliche Weise, den Kalender manipuliert. Irgendwie die lange Zeit, die ich nach dem Anschlag der alten Jana Nováková zur Genesung brauchte, eliminiert oder überbrückt. Angeblich war ich auf der ganz normal geplanten Rückreise von meinem Urlaub, als ich an der Tankstelle vor der Grenze zwei Menschen erschossen haben soll. Dass in dem von mir genau benannten und beschriebenen Haus in Budweis keine Jana Nováková gewohnt haben soll, passt ja letztendlich als letztes Mosaiksteinchen ins Bild.

Morgen früh soll ich in eine »geschlossene Anstalt« überführt werden, hat mir heimlich eine der netten Pflegerinnen hier verraten. Sie scheint die einzige hier zu sein, die mir glaubt. Wer weiß, vielleicht weiß sie mehr über die Nephilim, als sie zugibt?

Ich weiß nicht, welches Schicksal auf mich wartet, ob ich jemals rehabilitiert werde, ob ich die Gelegenheit bekomme, jemandem mitzuteilen, welche Wesen da unerkannt unter uns leben – daher habe ich diesen Bericht wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Die nette Pflegerin hat versprochen, meine Zeilen einem Freund zukommen zu lassen, der sie veröffentlichen wird. Ich werde keine Gelegenheit haben, vermute ich, mich davon zu überzeugen. Diese geschlossene Anstalt soll wirklich sehr geschlossen sein.

Da Sie nun diese Zeilen – meinen Bericht – gelesen haben, will ich Sie abschließend warnen, um Vorsicht und Aufmerksamkeit bitten:

Sie sind mitten unter uns.

Sie sind überall.

Und sie kennen kein Erbarmen mit uns Menschen.

 

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Zu guter Letzt frage ich die geschätzten Leser, ob sie Interesse an dem verworfenen Ende der Geschichte, also der Version 1 dieses Kapitels haben. Bei CDs lieben manche ja auch diese Bootlegs mit den ausgemusterten Aufnahmen aus dem Studio … also warum auch nicht.

Den alternativen Schluss ...
... möchte ich lesen.
... will ich nicht kennen lernen.
Auswertung