Samstag, 8. Oktober 2011

Italienische Erlebnisse /// Die Freundlichkeit von Fremden

Der Flug verlief angenehm, die Ankunft am Fiumicino Flughafen gegen 8 Uhr morgens ebenso und auch der Zug in die Stadt war schnell gefunden und bestiegen. Am Zielbahnhof wollten wir einen Bus zum Hotel nehmen, für die letzten 6 Kilometer. Jedoch: Streik bei den Busfahrern und der U-Bahn.

Das schlaue Mobiltelefon gab über die Fußgängernavigation Auskunft, wie das Hotel in rund 60 Minuten zu erreichen wäre – und da wir gut zu Fuß sind und beide nur je eine Tasche als Handgepäck mithatten, beschlossen wir, in den Vormittag hinein zu wandern und auf dem Weg schon einmal Rom ein wenig kennen zu lernen. Ein leicht mulmiges Gefühl war allerdings dabei, da der Akku des Telefons halb entladen und die Navigation als Stromfresser bekannt war. Dennoch liefen wir los, in der Annahme, jederzeit ein Taxi finden zu können, falls uns der Weg zu lang werden oder der Strom ausgehen sollte.

image Rom präsentierte sich dort, wo wir unsere Wanderschaft begannen und fortführten, nicht von einer präsentablen Seite. Müll und Schmutz wohin man auch blickte, Lärm von Baustellen und dem uns noch ungewohnten Straßenverkehr, Bürgersteige, die plötzlich endeten und uns zwangen, die Fahrbahn zu begehen … aber tapfer hielten wir durch, obwohl die Hitze merklich zunahm.

Die Navigation führte uns in eine recht verlassene Gegend, eine Brücke wäre zu überqueren gewesen – jedoch erwies sich das als unmöglich. Der Zugang war Privatgelände, eingezäunt. Ein aufmerksamer Bewohner belehrte uns, dass an dieser Stelle finito sei, keinesfalls könne man an den Brückenaufgang gelangen. Noch etwas skeptisch umrundeten wir das eingezäunte Gebiet, um dann mit eigenen Augen zu sehen, dass tatsächlich alles abgesperrt war.

Mittlerweile waren wir über eine Stunde unterwegs, durstig, verschwitzt (die Temperatur hatte sich auf rund 28 Grad im Schatten eingepegelt) und nun mussten wir ein gutes Stück zurück gehen, um über eine größere Straße zu einer anderen Brücke zu gelangen. Als wir die Straße erreichten, verabschiedete sich das Mobiltelefon, da der Akku nun so leer war wie der Hundenapf nachdem Max, der in Berlin geblieben war, sich bedient hat. Immerhin wussten wir noch, in welche Richtung wir zu gehen hatten.

Straßen ohne Gehweg, Staub, Durst, das Gepäck mit jedem Schritt schwerer – nach 90 Minuten Wanderung war uns klar, dass nur noch ein Taxi helfen konnte. Jedoch: Es war keines zu sehen, nirgendwo, so lange wir auch weiter wanderten. An einer Tankstelle baten wir schließlich darum, uns ein solches zu rufen. Der Tankwart wusste zwar die Telefonnummer, aber er hatte wohl kein Telefon oder wollte es nicht benutzen. Mangels Strom im eigenen Telefon kam ein Anruf sowieso nicht in Frage, abgesehen davon, dass wir keine Ahnung hatten, wo wir uns befanden und wie wir das dem Taxifahrer erklären sollten. Ein Kunde an der Tankstelle kramte sofort sein Telefon aus der Tasche und bemühte sich längere Zeit, uns behilflich zu sein, aber er bekam keinen Anschluss über das Funknetz. Schließlich riet er uns, etwa 50 Meter weiter in einer Bar zu fragen.

Der Barkeeper war sofort und ohne Umstände hilfsbereit. Sein Festnetztelefon funktionierte, aber er bekam über mehr als 20 Minuten nur immer den Hinweis zu hören, dass es keine freien Taxis in der Region gäbe. Kein Wunder eigentlich, da ja Bus und U-Bahn streikten. Unverdrossen probierte er es weiter, unterhielt sich mit mehreren Kunden über unsere Angelegenheit und versicherte uns immer wieder: We will take care of your problem!

Soweit ich es mitbekam, gelang es schließlich einem der Barbesucher, über sein Mobiltelefon einen Freund zu erreichen, der sich in Bahnhofsnähe befand und von dort aus auf unerforschliche Weise einen Taxifahrer bewegen konnte, in der Bar anzurufen. Freudestrahlend verkündete unser freundlicher Barkeeper schließlich: Your taxi will be here in 20 minutes!

Wir bedankten uns herzlich und warteten dann, den Durst einigermaßen gestillt, vor der Bar. Nach einer Weile, die den 20 Minuten noch recht ähnlich war, fuhr tatsächlich ein leeres Taxi heran, allerdings hielt es nicht bei der Bar, sondern fuhr in die Tankstelle. War das doch nicht unser Wagen? Egal, dachten wir, es ist ein Taxi ohne Fahrgäste, also los! Der Fahrer stieg aus und kam uns entgegen – I didn’t find the bar, but this is your car.

imageDie Adresse unseres Hotels, Via Cilento, war dem Fahrer unbekannt. Er kramte seine Lesebrille aus dem Handschuhfach, um unseren Zettel mit der Anschrift des Hotels zu studieren. Er unterhielt sich anschließend mit seiner Zentrale und hatte dann wohl eine ungefähre Ahnung, wohin er fahren musste. Mit rund 60 Stundenkilometern ging es dann ab in den Verkehr, der an sich schon beunruhigend war. Als der Fahrer, ohne abzubremsen oder gar anzuhalten, seine Lesebrille aufsetzte, einen Stadtplan auf dem Lenkrad deponierte und eifrig die Via Cilento suchte, war der Moment für mich gekommen, nach dem Haltegriff über der Tür zu greifen und diesen bis zum Ziel nicht mehr loszulassen.

Wer noch nicht in Rom unterwegs war, kann sich vermutlich den Verkehr nicht vorstellen. Es gelten keine Regeln, sondern Geschicklichkeit ist Trumpf, tausende von Motorrollern schlängeln sich – gerne auch auf der Gegenfahrbahn – zwischen den Autos durch, Zebrastreifen sind lediglich Ornamente, damit der Asphalt nicht so eintönig aussieht, auch eine Ampel, die für die Fußgänger grün zeigt, hat keine Bedeutung. Es gibt kaum einmal ein Auto zu sehen, das keine Beulen und Kratzer hat, auch neue Modelle zeigen an den Kotflügeln und Stoßstangen, dass ihre Fahrer sich bereits durch Rom bewegt haben. Unser Taxi kam allerdings ohne Rempelei schließlich vier Stunden nach der Landung in der Nähe unseres Hotels an, und wir stiegen glücklich und erschöpft aus.

Die Freundlichkeit von Fremden hatte uns geholfen, als wir rat- und kraftlos schon am ersten Vormittag in Rom in einer Bar gestrandet waren. Die italienische (oder römische) Hilfsbereitschaft sollten wir in den nächsten Tagen noch mehrfach erleben.