Freitag, 20. Juli 2012

Unterbrochene Chemotherapie

»Unter Abwägung aller Risiken muss man sich in einem solchen Moment der Vernunft gehorchend für die Lösung entscheiden, die voraussichtlich am wenigsten Schaden anrichtet.«

So ungefähr lässt sich das Resümee des ausführlichen Gespräches mit der Onkologin von heute kurz zusammengefasst formulieren.

image Der »solche Moment« ist die Tatsache, dass das am Mittwoch ins Gewebe statt ins Blutgefäß gelangte Oxaliplatin Schaden angerichtet hat, mit dem der Körper jetzt erst einmal zurechtzukommen sich bemüht. »Die Schmerzen«, erklärte mir die Ärztin, »werden Sie wohl noch zwei Wochen aushalten müssen, es gibt nun einmal leider kein einziges Gegenmittel. Es sollte langsam immer etwas besser werden, aber mit zwei Wochen müssen Sie rechnen. Zumindest sieht es jetzt, 48 Stunden nach dem Vorfall, so aus, als wären keine chirurgischen Maßnahmen notwendig.«

Der rechte Arm ist nach wie vor geschwollen, im Vergleich zum Mittwoch zwar unwesentlich, aber weg ist die Schwellung nicht. Unter der Haut tut es weh wie bei einem starken Muskelkater und die Haut selbst ist so berührungsempfindlich, dass ich lieber friere als einen Pullover oder ein langärmeliges Hemd zu tragen. Immerhin konnte ich heute früh nach dem Duschen den Arm behutsam trockentupfen, an ein Trockenreiben mit dem Handtuch wäre jedoch nicht zu denken.

Die Chemotherapie muss nun, um dem Körper zu helfen, pausieren und erst am 8. August zum fünften Zyklus wieder aufgenommen werden. Das Medikament Xeloda, mit dem ich es eigentlich jetzt zu tun hätte, könnte – und da sind wir bei der Abwägung der Risiken – zu einer Verschlimmerung der Vergiftung im Arm führen. Im schlimmsten denkbaren Fall (der unwahrscheinlich aber nicht ausgeschlossen wäre) endet das mit dem Verlust des Unterarmes. Damit verglichen ist die Einbuße an der Wirksamkeit der Chemotherapie von einigen gedanklichen Prozentpunkten eine Tatsache, mit der ich lieber lebe als ohne rechten (oder durch chirurgische Entfernung von Muskelgewebe verunstalteten und funktionsberaubten) Unterarm.

Es könnte – könnte – natürlich auch alles gut gehen: Xerloda einnehmen und den Arm trotzdem behalten … könnte. Das weiß aber kein Arzt im voraus zu sagen und das will ich nun beim besten Willen und trotz meines Ja zur Chemotherapie nicht riskieren.

Positive Seiten hat die Sache sogar auch: Darm und Magen bekommen drei Wochen Zeit, sich ein wenig von dem chemischen Dauerangriff zu erholen und zu regenerieren. In den drei Wochen kann der Körper sogar wieder ein paar wenige Blutkörperchen produzieren, die dem momentan ausgeschalteten Immunsystem einen kleinen Auftrieb geben. Bis zur nächsten Infusion zumindest.

Ob der geschädigte Arm sich vollständig wieder erholt oder ob gewisse Schäden zurückbleiben, konnte mir die Ärztin nicht sagen, das bleibt wie so vieles abzuwarten. Es hängt eben davon ab, was mein Organismus an Widerstandskraft zu leisten im Stande sein wird. Was ich dazu tun kann, wurde mir auch gesagt: Nicht einigeln, aber bei aller Aktivität (Sport zum Beispiel) besonders aufmerksam auf Signale des Körpers achten. Den Arm schonen, aber auch nicht total auf seinen Gebrauch verzichten. Und, das hörte ich nun heute zum vierten oder fünften Mal: »Auf gar keinen Fall kühlen!«

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