Samstag, 18. Mai 2013

Was heißt eigentlich Rippenstoß auf Mesopotamisch?

Vor allem hat mir der Tag gestern einen Rippenstoß meiner Frau – und als Andenken daran einen blauen Fleck – eingebracht, der immer noch schmerzt. Es stimmt ja, dass ich den wohl verdient hatte, denn irgendwie war das eine ernsthafte Angelegenheit, und ich konnte mal wieder meine ironische Ader nicht bremsen.

»Sie sind voll von süßem Wein«, sagte ich, und Sekunden später bekam ich den Ellenbogen zu spüren.

»Das gehört sich nicht, wir sind hier nur zu Besuch«, zischte meine Frau mir ins Ohr. »Nimm dich doch ein mal zusammen!«

Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Also nicht mit dem ein mal – ich nehme mich oft zusammen! Aber es stimmt schon: Als Gast in einer fremden Stadt sagt man nicht solche frechen Sachen, schon gar nicht laut und öffentlich. Doch den Mann, der dann später zum Wortführer wurde, schien das nicht beleidigt zu haben. Gehört haben musste er mich, denn er ging sogar auf meine Boshaftigkeit ein: »Diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage«, erklärte er. Mir lag ja schon wieder etwas auf der Zunge, in etwa »dann ist das noch der Rausch von gestern Abend?« oder »vielleicht war was im Frühstückstee?«, aber das habe ich heruntergeschluckt. Noch so einen Stoß von meiner Angetrauten wollte ich mir nicht einhandeln.
Aber ich greife vor. Der Mann hat ja erst später geredet. Losgegangen war es mit dem Getöse. Es gab schon gestern vor Ort so allerlei Gerüchte und Gerede. Was wirklich passiert war, wusste natürlich keiner von uns Schaulustigen. Wir waren zusammengeströmt, weil es einen gewaltigen Krach gegeben hatte. So etwas wie ein Brausen, Rauschen, also eigentlich wie bei einem Sturm. Allerdings herrschte gestern ziemliche Windstille, allenfalls ging ein laues Lüftchen durch die Stadt, aber jedenfalls nichts, was so einen Lärm hätte verursachen können. Meine Frau und ich sind in der kleinen Herberge untergebracht, die am Ende der Straße liegt. Also etwa 500 Meter vom Ort des Geschehens. Wir sind bei dem Brausen gleich auf die Straße raus gegangen, das war ohrenbetäubend, es hätte ja was Gefährliches sein können, nicht wahr?

Als wir vor dem Haus ankamen, in dem immer noch ziemlicher Lärm herrschte, allerdings nun von menschlichen Stimmen verursacht, kamen schon die Gestalten aus der Tür, die ich dann – der blaue Fleck wird mich noch eine Weile erinnern – vorlaut als morgendliche Trunkenbolde veräppelt habe. Die benahmen sich aber auch wirklich nicht wie nüchterne Menschen.

Les Très Riches Heures du duc de Berry, Folio 186r - Pentecost the Musée Condé, Chantilly.Es waren, soweit ich das weiß, nur Einheimische. Alle redeten durcheinander, aber verstehen konnte man so gut wie niemanden. Ich hörte allerdings nach einer Weile einen eher schmächtigen Typen in unserem römischen Dialekt reden. Wir Römer haben da so eine ganz eigenwillige Betonung in unserer Aussprache, die kriegen noch nicht mal unsere Volksgenossen aus der Umgebung hin. Angeblich hört man das sogar durch, wenn wir Aramäisch reden. Jedenfalls erzählte der Mann in unserer Sprache und unserem Dialekt etwas von den großen Taten Gottes, ohne dass ihn jemand danach gefragt hätte.

Meine Frau ist sehr interessiert an Sitten und Gebräuchen, daher reisen wir auch oft und gerne, und sie hat den Schmächtigen, natürlich in unserer Muttersprache, gefragt, was denn eigentlich los wäre, was das vorhin für ein Lärm gewesen sei. Der hat sie groß angeschaut, mit den Schultern gezuckt, verständnislos gelächelt, und es war ziemlich schnell klar, dass er überhaupt kein Wort verstand. Taub war er aber auch nicht. Auf die gleiche Frage in Aramäisch hat er nämlich reagiert. Das war schon recht gespenstisch, wie der dann weiter von Gott erzählte, in unserem Dialekt, ganz flüssig und fehlerfrei, aber offensichtlich nur seine heimatliche Sprache verstehen konnte.

Schließlich wurde das Durcheinanderreden etwas ruhiger, und einer der Leute aus dem Haus hat eine lange Rede gehalten. Der sei mal Fischer gewesen, raunte jemand neben uns. Für einen Fischer, falls das stimmt, hielt er eine recht ansehnliche Ansprache. Er hat erklärt, dass wir Zeugen eines Geschehens wären, das vor ich weiß nicht wie vielen Jahren oder Jahrzehnten – womöglich noch länger – von einem der jüdischen Propheten angekündigt worden sei. Gott habe, sagte der möglicherweise frühere Fischer, seinen Geist ausgegossen, und das sei wohl verantwortlich für den Krach gewesen. So eine Art Flut von oben, daher das gewaltige Rauschen, obwohl dann auch von kleinen Feuerflammen in dem Zimmer die Rede war, was ja nicht so recht zur Flut passt. Zu einem Sturm auch nicht, wenn man es genau überlegt. Anschließend hat er erklärt, dass ein Prediger, der viele Wunder getan haben soll und der vor unserer Ankunft in der Stadt hingerichtet worden war, keineswegs tot sei. »Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen«, so hat er das formuliert.

Er hat dann gemeint, dass wir uns alle taufen lassen sollten, und dann würden wir den Geist, der da ausgegossen worden sei, ebenfalls empfangen. Dem Aufruf sind gleich gestern so etwa 3.000 Leute gefolgt, habe ich mir sagen lassen. Ich bin da eher etwas zurückhaltend, und ich weiß auch nicht recht, ob ich in einer Sprache reden will, die ich gar nicht verstehe. Wer weiß, was ich da von mir geben würde! Womöglich führt das letztendlich zu noch mehr blauen Flecken, falls meine Frau dann zufällig ausgerechnet meine unverständliche Sprache verstehen sollte …

Wir haben uns aber vorhin überlegt, dass wir ja mal die Versammlung besuchen könnten, die heute am späten Nachmittag stattfinden soll. Im Tempel soll das sein, bei so viel Ansturm gibt es ja auch keinen anderen geeigneten Treffpunkt weit und breit. Wir werden wohl hingehen. Neugierig bin ich schon.

So, das wollte ich Ihnen erzählen, solange ich noch in der Lage bin, meine eigenen Worte zu verstehen. Man weiß ja nicht, wie das hinterher aussehen wird. Vielleicht rede ich heute Abend nur noch mesopotamisch?

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