Mittwoch, 11. September 2013

Von Angst und Hoffnung

Am kommenden Freitag steht mir die nächste gründliche Untersuchung bevor. Das ist ja an und für sich eine feine Sache mit der Nach- und Vorsorge, immerhin kann der Patient einigermaßen beruhigt sein, wenn er untersucht wurde und der Arzt nichts gefunden hat, was auf eine Erkrankung hindeutet.

Nach der Krebsdiagnose und Operation im März 2012 wurde ich zunächst vierteljährlich untersucht, im April 2013 fand der Wechsel zum halbjährlichen Untersuchungsabstand statt, denn die Ergebnisse waren durchweg mutmachend und hoffnungstiftend – lauter negative Befunde. Und das ist bei medizinischen Diagnosen ja eine positive Auskunft.

imageIch habe keinerlei Beschwerden oder Anzeichen, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte (abgesehen von den chronischen oder lang anhaltenden Folgen der Operation und Chemotherapie), aber sie ist trotzdem da, die Furcht vor dem, was bei der anstehenden Untersuchung herauskommen könnte, irgendwo im Hintergrund lauert sie ständig. Wenn ich beschäftigt bin, sei es im Büro bei der Arbeit, sei es beim Einkaufen, beim Sport, beim Lesen oder Fernsehen, dann bleibt sie meist im Hintergrund. Dann kann ich die Furcht meist vergessen, ohne Mühe. Aber beim Einschlafen, beim Aufwachen, oder auch einfach so zwischendurch tauchen die ängstlichen Gedanken auf.

Ist der Krebs wieder da? Sind in den sechs Monaten seit der letzten Untersuchung neue Tumore entstanden? Wurden wirklich alle Krebszellen bei der Operation entfernt? Hat die Chemotherapie neben all den schädlichen Effekten auch etwas Gutes getan, nämlich eventuell herumwandernde Krebszellen vernichtet? Werde ich Weihnachten noch gesund erleben? Wird es einen nächsten Sommerurlaub für mich geben?

Mach dir keine Sorgen – das sagt sich leicht. Die Sorgen muss man sich aber gar nicht machen, die sind einfach da. Ungefragt. Ungemacht. Ungewollt.

Das Heimtückische am Krebs ist es ja, dass viel zu lange nichts zu spüren ist. Alles scheint mit dem Menschen in bester Ordnung zu sein … und dann, wenn die Krankheit entdeckt wird, kann es schon zu spät sein für erfolgreiche medizinische Maßnahmen. Vor ein paar Tagen starb eine nur 43jährige Mutter von vier Kindern zwischen drei und acht Jahren aus unserem weiteren Bekanntenkreis am Krebs, der bei ihr vor nicht einmal einem Jahr entdeckt worden war.

In meinem Fall konnten die Ärzte die beiden Tumore vollständig entfernen, so dass ich (in der Bandbreite zwischen 30 und 70 Prozent) echte Heilungschancen habe.

Nun weiß ja kein einziger Mensch, ob er am nächsten Tag wieder aufstehen wird. Auch nicht der gesündeste in jugendlichem Alter. Darüber denken wir nicht sonderlich viel nach im normalen und unbeschwerten Leben.

imageIch stelle fest, dass ich seit dem März 2012 deutlich bewusster lebe und erlebe. Dass ich mehr zu schätzen und zu genießen weiß, was man normalerweise als selbstverständlich oder nebensächlich betrachtet, von einer köstlich zubereiteten Mahlzeit über einen Spaziergang oder Stadtbummel bis zum entspannten Abend im Freundeskreis. Und ich bemerke, dass mich manches nicht mehr ärgern oder gar auf die Palme bringen kann, weil es nämlich nur wichtig erscheinen möchte, tatsächlich aber unbedeutend ist.

Es wäre töricht, sich über eine Krankheit wie den Krebs zu beklagen oder irgendwelche, womöglich sogar übernatürlich-religiösen, Gründe zu suchen, warum jemand Krebs hat während sein Nachbar bis ins hohe Alter vor Gesundheit strotzt. Zwar gibt es zweifellos selbstverschuldete Leiden, die man sich beispielsweise durch übermäßigen Alkoholkonsum, durch den häufigen Besuch von Solarien, Geschlechtsverkehr mit infizierten Partnern, das Rauchen oder ungeeignete Ernährung zufügen kann, aber selbst diesbezüglich reagiert nicht jeder Organismus gleich. Man denke nur an unseren Bundeskanzler Helmut Schmid. Dennoch stimmt es: Der Mensch kann Risiken vermeiden, wenn er will (und diesbezüglich aufgeklärt ist). Aber auch diejenigen, die »gesund leben«, sind nicht davor gefeit, von Krankheit oder Unglück aus dem Leben gerissen zu werden.

Wie eingangs gesagt – die Angst ist da. Mal mehr, mal weniger im Hintergrund. Sie ist natürlich nicht sachdienlich, eher im Gegenteil, aber sie zu leugnen wäre auch keine Lösung. Daher habe ich auch künftig vor, sie zwar zur Kenntnis zu nehmen, mich aber täglich neu zu entscheiden, dass das Leben trotz der Bedrohung lebenswert und wertvoll und schön ist.