Montag, 21. Oktober 2013

Vom Kopf, der nicht im Sand steckt

Heute waren wir bei der »Tumorsprechstunde« des Klinikums Benjamin Franklin hier in Berlin Steglitz. Dieses segensreiche Angebot dient dazu, dass abseits von der Hektik des Stationsalltags ein Arzt Zeit für ein ruhiges, ausführliches Gespräch hat.

Die Beratung und Information brachte keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse zutage, damit war auch nicht zu rechnen, aber doch ein wenig mehr Klarheit oder Bestätigung des bereits Vermuteten in bestimmten Punkten:

  • Die beiden am 4. Oktober 2013 entfernten Lebermetastasen waren mit großer Wahrscheinlichkeit bereits im März 2012, als die beiden Darmtumore entfernt wurden, als mikroskopische Ansiedlungen auf der Leber vorhanden. Die Chemotherapie letztes Jahr hat verhindert, dass sie wuchsen – aber »getötet« hat sie die Krebszellen auch nicht.
  • Es gibt für mich nach wie vor eine Chance auf Heilung – das heißt, dass der Krebs nicht wieder auftritt. Die Chance ist nicht riesengroß, aber sie ist auch nicht ausgeschlossen.
  • NURSE 1Eine Chemotherapie zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich zu Dauerschäden an sowieso bereits angegriffenen Nerven führen. Es gibt keinerlei Untersuchungen, Versuchsreihen oder langfristige Erkenntnisse, dass ich irgend einen Vorteil beim Kampf gegen den Krebs dadurch gewinnen könnte. Es gibt allerdings auch keine Untersuchungen, die das ausschließen würden. Angesichts der Schäden, die dem Körper zugefügt würden, raten die Ärzte deutlich ab.
  • Warum die »Tumormarker« im Blut trotz wachsender Lebermetastasen im unverdächtigen Bereich geblieben sind, kann niemand sagen. Man muss sie weiter beobachten, aber die totale Unauffälligkeit der Werte ist ein Beleg dafür, dass sie zwar hilfreich sein können, jedoch keineswegs als zuverlässige Diagnose taugen.
  • Um eventuelle neue Metastasen oder Tumorherde frühzeitig zu erkennen, wird alle 6 Monate ein CT vonnöten sein. Die durch das relativ häufige CT verursachten Risiken (Strahlenbelastung, Gefährdung der Nierenfunktion …) sind im Vergleich zum Gewinn (rechtzeitiges Erkennen) zu vernachlässigen.
  • Vor allem Lunge und Leber sind beim Darmkrebs die Organe, die später von Metastasen und Tumoren befallen werden.
  • Es hängt in den nächsten Jahren eine Menge von meinem Immunsystem ab. Das kann ich nur auf die bereits seit 2012 praktizierte Weise stärken: Sportliche Betätigung und gesunde (= möglichst chemiefreie) Ernährung. Alles andere, was so angeboten wird (Misteltherapie und Konsorten) dient weniger dem Immunsystem des Patienten und mehr dem Einkommen der Hersteller. Gegebenenfalls wird sogar Schaden angerichtet.

Wie viele Jahre bleiben mir noch? Das kann keiner sagen. Das kann auch bezüglich deines Lebens, lieber Blogbesucher, keiner sagen. Vom Verkehrsunfall bis zum plötzlichen Gehirnschlag gibt es zahlreiche Gründe, warum auch jüngere Menschen aus dem Leben scheiden.

Ich habe mich entschlossen, genau wie letztes Jahr nach der Darmoperation, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern jeden Tag, den ich erlebe, bewusst und dankbar als Geschenk entgegen zu nehmen. Viele Alltagsdinge, die gerne ungeheuerlich wichtig erscheinen wollen, verlieren deutlich an Gewicht, wenn man sich täglich im Klaren ist, dass unser Leben endlich ist. Nicht in ferner Zukunft, sondern schon heute und hier und jederzeit. Ich werde alles tun, so schnell wie möglich wieder richtig auf die Beine zu kommen und mich auch im Tal der Todesschatten nicht ängstigen lassen.

Gelingt das immer und jederzeit? Nein. Aber es gelingt oft genug und das Leben ist es wert, dass man trotz Angst und Traurigkeit nicht aufgibt. Und da die beste aller Ehefrauen fest an meiner Seite steht, gilt sowieso: Geteiltes Leid ist halbes Leid.

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