Montag, 8. September 2014

Von der Perspektive–im Leben und auf Fotos

Perspektive (von lateinisch perspicere‚ hindurchsehen, hindurchblicken) bezeichnet die räumlichen, insbesondere linearen Verhältnisse von Objekten im Raum: Das Verhältnis von Objekten im Raum in Bezug auf den Standort des Betrachters. -Wikipedia

Beim Fotografieren kann man durch einen Perspektivwechsel vor dem Druck auf den Auslöser trotz identischem Motiv zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Am vergangenen Sonntagmorgen, unterwegs mit Max, unserem treuen, liebenswerten und meist fröhlichen vierbeinigen Familienmitglied, nahm ich ein Bild des Pfades auf, den wir so gut wie bei jedem Spaziergang durchschreiten. Mir gefällt dieser fast tunnelartige Weg zwischen ungehindert wuchernder Vegetation (das Gelände ist »Niemandsland«, kein Gartenbauamt oder sonst jemand pfuscht der Natur ins Handwerk).

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Ich hatte meine Kamera nicht dabei, sondern nur das Mobiltelefon … daher die nicht so ganz akzeptable Qualität. Doch abgesehen von den technischen Details – das Motiv wirkte auf dem Bildschirm des kleinen Samsung etwas langweilig, als ich es betrachtete. Nach nur kurzem Überlegen wusste ich, warum ich unzufrieden war: Fotos, bei denen das Hauptmotiv genau im Mittelpunkt liegt, sehen in der Regel eben zufällig geknipst aus, nicht bewusst fotografiert. Also nahm ich ein zweites Bild auf, bei dem der tunnelartige Pfad etwas nach unten rutschte.

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Und siehe da: Schon war ein Teil der Langeweile aus dem Foto verschwunden. Beim dritten Versuch hatte ich dann das vor Augen, was ich auch beim Blick ohne Kamera beziehungsweise Mobiltelefon sah: Ein beeindruckendes Zeugnis dessen, wie klein der Mensch beziehungsweise sein Pfad im Vergleich zu den Bäumen ringsum ist:

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Als ich dann mit Max weiter spazierte, wurde mir wieder einmal klar, dass es im Leben auch oft so ist wie in der Fotografie. Es genügt ein gering erscheinender Perspektivwechsel, um den gleichen Sachverhalt ganz anders wahrnehmen zu können.

Ich könnte ständig die Krebserkrankung, mögliche Metastasen, die Schäden aus der Chemotherapie und all die mit dem Krebs verbundenen Befürchtungen und Ängste in den Mittelpunkt meines Lebens und Denkens rücken. So wie beim Fotografieren die meisten Menschen dazu neigen, das Objekt genau ins Zentrum des Bildes zu nehmen. Deshalb gibt es so viele mittelmäßige und nichtssagende Schnappschüsse, von denen sogar diejenigen oft enttäuscht sind, die das Bild aufgenommen haben. Wenn man aber den Blick etwas hebt, kann das eine bedeutende Veränderung auslösen.

So haben mich der Spaziergang mit Max, das Mobiltelefon mit seiner Fotofunktion und die drei aufgenommenen Bilder wieder einmal daran erinnert, dass sogar der Krebs kleiner erscheint, wenn der Blick sich weitet, wenn die Perspektive wechselt.

Das ändert nichts an den Tatsachen, klar. Es macht die tödliche Krankheit nicht weniger gefährlich. Aber die Lebensqualität gewinnt eine ganze Menge, wenn ich Gottes Größe und die Schönheit seiner Schöpfung mit ins Bild nehme. Wenn ich achtsam lebe. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich nunmehr schon zweieinhalb Jahre »geschenktes« Leben an der Seite der besten aller Ehefrauen und mit Anteilnahme und Freundschaft vieler lieber Menschen genießen konnte. Das macht Mut und gibt Hoffnung für die Zukunft.

Ein geweiteter oder angehobener Blick, eine veränderte Perspektive tut gut. Beim Fotografieren und im Leben. Solche Perspektivwechsel wünsche ich auch meinen Lesern gerne und von Herzen.

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