Mittwoch, 17. September 2014

Vom inneren Schweinehund und vom Brot des Grauens

Wir alle neigen dazu, den Weg des geringsten Widerstandes einzuschlagen, das liegt in der Natur des Menschen. Wir sind darauf programmiert, Energie zu sparen für den Notfall und Risiken zu meiden – ein Erbe unserer Herkunft als Sammler und Jäger in einer Wildnis voller Gefahren und Feinde.

Der innere Schweinehund - Quelle des Bildes siehe untenObwohl wir es nicht mehr mit Säbelzahntigern und Horden von Hunnen zu tun haben, liegt uns das Gewohnte, Voraussehbare und Bequeme noch heute am nächsten, selbst dann, wenn unsere Gesundheit und unser Überleben gerade durch eine Veränderung der Gewohnheiten gefestigt werden könnten. Der Volksmund redet gerne vom inneren Schweinehund, der sich dick und fett in den Weg legt.

Der Autor und Blogger Seth Godin hat in einem Artikel sehr treffend geschrieben: »… we procrastinate because somewhere deep down, we’re afraid to start« - wir schieben auf und schieben auf, weil wir Angst vor dem Anfang haben. Unser innerer Schweinehund, um bei dem volkstümlichen Begriff zu bleiben, wird versuchen, uns mit allen Mitteln dort festzuhalten, wo wir gerade sind, weil jede Veränderung ihm riskant erscheint. Er will, dass wir bleiben wo und wie wir sind.

Aber genau das ist in unserer westlichen Zivilisation ungesund und für viel zu viele Menschen sogar tödlich. Bluthochdruck und Krebs, die beiden häufigsten Todesursachen hierzulande, haben eine ganze Menge mit Ernährung, Gewohnheiten und körperlicher Leistungsfähigkeit zu tun.

Allerlei Ausreden, noch eine letzte Packung Zigaretten zu kaufen (ich kann ja nächste Woche aufhören, heute ist der Stress zu groß), noch zwei Stündchen vor dem Fernseher sitzen zu bleiben (morgen gehe ich dann früher ins Bett, aber heute kommt ja noch dieser Film), nach der Arbeit schnell am Autoschalter eine Tüte voll Junkfood zu kaufen (ich hatte einen schweren Tag und das ist viel praktischer, als selbst noch etwas zu kochen) fallen uns schnell ein. So beruhigen wir uns, lenken unser Gewissen ab, denn Unkenntnis über die Gefahren unseres Lebensstils können wir uns ja, wenn wir ehrlich sind, noch nicht einmal selbst vorgaukeln.

Ich schreibe aus Erfahrung – heute würde ich mir wünschen, ich wäre früher »aufgewacht«, hätte nicht jahrzehntelang das Billigfleisch aus dem Supermarkt gegessen und überhaupt gedankenlos konsumiert, was angeboten wird, solange es nur billig ist, vom Fertiggericht aus der Tiefkühltruhe bis zur Zahnpasta, die mit massivem Chemieeinsatz weiße Zähne verspricht. Vielleicht hätte mein Organismus dann den Krebs erfolgreich abwehren können? Ich weiß es nicht, werde es nie wissen.

Aber es ist nicht zu spät – man kann auch noch das Ruder herumreißen, wenn man nicht mehr zwanzig ist. Ich habe von mehreren Ärzten gehört, dass meine Erholung nach den Operationen und das Verkraften der Chemotherapie – letztendlich auch mein Überleben bis hierher – eine ganze Menge mit Ernährung, Ausdauersport und seelisch-geistlicher Gesundheit zu tun haben. Es war also ein direkter Segen, dass die beste aller Ehefrauen mich zum Sport hatte bewegen können, bevor der Krebs entdeckt wurde.

Doch auch und gerade für meine Leser, die sich guter Gesundheit erfreuen, hoffe ich mit diesen (und manchen anderen) Zeilen hilfreich sein zu können, damit sie beizeiten die Ausreden des inneren Schweinehundes entlarven und aus ihrem Leben verbannen können. Fünf Beispiele:

1. Bevor ich anfange, muss ich einen Plan aufstellen.

Es stimmt, dass Planung eine wichtige Angelegenheit ist – aber jetzt und hier, wenn du dich endlich aufraffen willst, ist das Argument nichts weiter als Verschleppung und Verzögerung. Kennt das jemand von meinen Lesern?

Bevor ich anfange, muss ich mir neue Sportkleidung besorgen. Ich muss erst die richtigen Schuhe kaufen. Ich muss mir erst ein Sportstudio aussuchen. Ich muss erst neue Musik auf mein mobiles Gerät laden. Ich muss mir erst das richtige Essen für die Mahlzeit nach dem Sport besorgen. Ich muss erst nach einem Trainingsplan Ausschau halten …

Das mag alles zutreffen – aber vergiss es erst einmal. Geh raus und fang an, auch wenn die Farbe der Sporthose nicht zum T-Shirt passt. Fang einfach an, fünf Minuten in die eine Richtung, fünf zurück. So langsam oder schnell du willst. Auf dem Fahrrad oder auf deinen Füßen. Das geht ohne Musik in den Ohren, ohne Athletenmahlzeit im Kühlschrank, ohne Plan, ohne Unterricht und ohne technischen Schnickschnack. Und am nächsten oder übernächsten Tag gehst du wieder los. Du musst gar nicht mehr schaffen als beim vorigen Mal, aber du darfst nach und nach die Zeitdauer und/oder das Tempo steigern – wie dein Körper es eben zulässt.

Wenn du dann so weit bist, dass du regelmäßig drei Mal wöchentlich oder sogar jeden zweiten Tag losgehst, dann ist es an der Zeit, sich um einen Plan und zusätzliche Ausrüstung für die sportlichen Aktivitäten zu kümmern.

2. Ich bin so aus der Form, dass schon der Gedanke an dreißig Minuten Training mich zusammenbrechen lässt. Das schaffe ich nie!

Das brauchst du auch gar nicht schaffen! Es geht zuerst einmal gar nicht darum, in Form zu kommen oder gar irgendwelche Meilensteine zu erreichen. Es geht nur und ausschließlich um den ersten Schritt.

Betrachte es als Experiment: Du isst ab jetzt zwei Wochen gesunde Nahrungsmittel, du bewegst dich regelmäßig, einfach um herauszufinden, wie sich das anfühlt. Ganz spielerisch und voller Neugierde, aber gleichzeitig mit festem Entschluss. Stell dir ein paar Grundregeln auf, erzähl jemandem von deinem Vorhaben und schummle nicht.
Dabei kannst du alle gesundheitlichen Fernziele getrost vergessen. Es geht jetzt nur darum, wie sich das anfühlt, ob und wie sich dein Befinden und dein Gemüt ändern werden. Genau dort, in deinem Gemüt, beginnt nämlich jede positive Veränderung, sichtbar zu werden.

Wenn dann die zwei Wochen (oder deine andere selbst gesetzte Frist) um sind, gratulierst du dir zum Durchhalten. Wenn du nach dieser Zeit nicht motiviert sein solltest, weiter zu machen, dann kannst du das Experiment ohne schlechtes Gewissen beenden und einen anderen Ansatz wählen. Aber vielleicht fühlst du dich ja leichter, spürst mehr Energie, bist glücklicher. Solch ein Gewinn aus deinem durchgehaltenen Vorsatz ist sofort da, egal, ob und wie weit du schon deiner Idealvorstellung näher gekommen bist (falls du eine hast).

Was also wäre, wenn du noch zwei Wochen dranhängst? Oder einen Monat? Probiere es aus, mit der gleichen Entschlossenheit, und nach dieser Frist betrachtest du wieder dein Befinden. Geht es dir besser? Fühlst du dich wohler?

Der Vorteil eines solchen Vorgehens in Etappen ist, dass man den Fortschritt sieht und beobachtet, und nicht irgend ein fernes Ziel anvisiert. Gleichzeitig weiß man, dass man nicht endlos etwas tun muss, was überhaupt keinen Spaß macht. Die Etappen sind überschaubar.

tumblr_n0ouauOjR61tqm1uvo1_12803. Ich kann nicht kochen und habe auch keine Zeit dafür.

Das mag stimmen. Aber du musst gar nicht zwei oder drei Stunden in der Küche damit zubringen, eine 5-Sterne-Gourmet-Mahlzeit zu zaubern, du brauchst kein Spezialist für Geschmacksnoten und Gewürze werden oder gar schon sein. Gesunde und wohlschmeckende Mahlzeiten kann jeder zubereiten, der lesen gelernt hat (und eine Küche hat).

Da du diese Zeilen im Internet liest, gehe ich davon aus, dass ein Abstecher zu Lecker.de oder Eatsmarter.de (und vielen weiteren hilfreichen Adressen) kein Problem darstellt. Schritt für Schritt erklärte einfache Rezepte findest du garantiert auf Anhieb. Gesunde Lebensmittel auch. Die mögen teurer sein als die aus der Massenproduktion, aber du willst ja (zwei Wochen, siehe Ausrede 2) mal das gesunde Essen ausprobieren. Das könnte dir doch die Extraausgabe wert sein?

Betrachte das Kochen als eine Gelegenheit, mit deinen Händen etwas zu erschaffen. Alle Sinne sind am Prozess beteiligt und du tust auch noch deiner Gesundheit jede Menge Gutes. Mit der Zeit wird dir vieles, was du zuerst noch nachschlagen musst, ganz automatisch gelingen … und deine Gerichte werden immer besser. Dass ab und zu etwas Ungenießbares herauskommt, ist auch kein Weltuntergang: Ich habe mal ein grünliches »Brot des Grauens« gebacken, das im BIO-Müll statt in unseren Mägen gelandet ist. Zum Verspeisen taugte es nicht, aber es ist in der Familie sprichwörtlich geworden. Das ist ja auch etwas.

4. Die Leute würden mich auslachen, wenn ich so unförmig Sport treiben würde.

Falls jemand lachen sollte, was ich gar nicht mal für wahrscheinlich halte, aber gesetzt den Fall, jemand lacht über dich: Er lacht aus lauter Unsicherheit, weil er eine ungefestigte Persönlichkeit ist.

Die meisten Menschen werden dich entweder gar nicht beachten oder anerkennend nicken, weil du draußen bist und Sport treibst, statt auf dem Sofa zu sitzen. Mancher wird dir neidisch hinterher schauen, weil ihm selbst der Antrieb fehlt. Vielleicht bist du sogar der Anstoß für jemanden, endlich selbst aktiv zu werden?

Es stimmt, dass man zuerst meint, die ganze Welt würde einen beobachten, wie man da durch die Gegend läuft … aber man bekommt ganz schnell mit, dass das nicht zutrifft. Im Gegenteil.

Abgesehen davon: Wen geht es eigentlich etwas an, ob du unförmig oder förmig bist? Wer stellt die Maßstäbe auf? Und wie willst du in Form kommen, wenn du nicht in Form kommen kannst, weil du noch nicht in Form bist?

Der innere Schweinehund verzapft mit dieser Ausrede einen ganz schon hanebüchenen Unsinn. Streck ihm die Zunge heraus und lauf los.

5. Ich habe es schon versucht, das hat nicht geklappt. Für mich ist das eben nichts.

Es gibt, auch nach Jahren der Übung und Gewöhnung, solche Tage. Wochen womöglich. Na und? Geht etwa die Welt unter, weil ich heute beim Dauerlauf jeweils nach zehn Minuten Pause machen und ein paar Minuten im Schritttempo bleiben muss? Ist alles verloren, wenn ich der Verlockung erliege und den Burger samt Pommes kaufe oder in der geselligen Runde ein paar Gläser Wein gelehrt habe?

Nur wer nichts unternimmt, kann keine Rückschläge erleiden. Den größten Rückschlag für Gesundheit und Wohlbefinden nimmt er billigend mit dem Nichtstun in Kauf. Nur wer etwas wagt, kann gewinnen. Ich hatte mehr als einmal versucht, das Rauchen aufzugeben. Es gab sogar ausgedehnte rauchfreie Zeiten, über Monate. Und dann doch wieder einen Rückfall in die Sucht. Hätte ich daraus geschlossen, dass ich eben nun mal Raucher bin und bleiben muss, wäre ich heute um etliche Euro ärmer (ich spare pro Tag runde 5 Euro, die ich früher für Zigaretten ausgegeben habe) und längst nicht so leistungsfähig, wie ich es nun sein darf. Hätte ich aus meinem kläglichen ersten Jogging-Versuch (nach runden 3 Minuten gab ich keuchend und mit hochrotem Kopf auf) geschlossen, dass das Laufen für mich eben nicht in Frage kommt, trüge ich heute womöglich immer noch knapp 100 Kilogramm Leibesfülle mit mir herum. Hätte ich aus dem Brot des Grauens den Schluss gezogen, dass ich in der Küche nichts zu suchen habe, hätten wir so manches köstliche und gesunde Mahl nicht verspeisen können.

Man kommt einem gesunden Lebensstil nicht dadurch näher, dass man nie hinfällt, sondern dadurch, dass man nicht liegen bleibt. Natürlich ist es einfacher, vor dem Fernseher oder Computer sitzen zu bleiben und dazu eine Tüte voll Junk-Food zu verspeisen, möglichst auch noch mit Cola heruntergespült.

Der erste Schritt ist das Aufraffen – und der ist oft der schwerste. Wer erst einmal angefangen hat, wird Resultate erleben, und während sich neue Gewohnheiten einprägen, werden sie immer leichter, bis sie ganz selbstverständlich sind. Ich käme heute gar nicht mehr auf die Idee, den Aufzug zu benutzen, wenn ich zur Geschäftsleitung im fünften Stockwerk unterwegs bin.

Glaub deinem inneren Schweinehund kein Wort mehr – fang einfach an, gesünder zu leben. Mit einem kleinen Schritt.

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Ehre, wem Ehre gebührt:

  • Inspiriert zu diesem Beitrag hat mich der Blogartikel 5 Excuses that Keep You Unhealthy von Matt Frazier. Einige Passagen sind aus seinem Beitrag übersetzt.
  • Bild 1 von Wikipedia
  • Bild 2 aus eigener Produktion
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