Freitag, 14. November 2014

Religion ist gefährlich. Gott nicht.

Religion ist gefährlich. Dennoch habe ich mich entschieden, an Gott zu glauben. -Stephen King (eigene Übersetzung aus einem Interview)

Das ist so ungefähr die Essenz dessen, was mein großer Autorenkollege Stephen King kürzlich in einem langen Interview erklärt hat. Mir geht es weitgehend ähnlich wie ihm. Nicht, was die Auflagenzahlen meiner Bücher betrifft, sondern beim Nachdenken über Gott und Religion.

Ach war das damals einfach, als Kind. Da hielt ich Gott (bildlich gesprochen) für den gütigen und immer freundlichen älteren Herrn, der irgendwo über den Wolken sitzt und nichts anderes zu tun hat, als auf mich (und andere Menschen) aufzupassen und mir meine Wünsche zu erfüllen.

Dass diese Vorstellung unzutreffend war, zeigte sich bereits in der Kindheit. Der gütige alte Mann wurde nach und nach ersetzt durch einen Gott, vor dem man Angst haben musste, wenn man sich nicht an seine Regeln hielt. Dann landete man nämlich in der Hölle, irgendwann. Das war zwar noch weit weg, aber dieser Gott konnte, wenn man sich seinen Unmut zuzog, jederzeit dreinschlagen. Mit Krankheit oder gar dem frühen Tod konnte er Menschen bestrafen, die seinen Geboten nicht Folge leisten wollten. Da war aber trotzdem auch immer noch irgendwo in meiner kindlichen Vorstellung der freundliche Himmelsvater, dem man Bitten und Wünsche nennen durfte. Glaubte man fest genug, dann gab es auch die garantierte Gebetserhörung hinterher.

Mit zunehmendem Alter und zunehmender Reife musste ich mein Gottesbild immer wieder korrigieren, weil es mit der erlebten Realität nicht zusammenpasste. Diese Wandelbarkeit ist im Erwachsenenleben geblieben. Das hat jedoch nichts daran geändert, dass ich die Existenz Gottes nicht in Frage stelle. Das wäre töricht. Da kann ich mich den folgenden Worten von Stephen King anschließen:

Wenn jemand sagt »okay, ich glaube nicht an Gott weil es keinen Beweis für seine Existenz gibt«, dann muss derjenige schon die Augen schließen und weder die Sterne am Himmel betrachten noch Sonnenaufgang und –untergang beobachten. Er darf nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Bienen und andere Insekten Blüten befruchten, wodurch wir letztendlich Nahrung zum Leben bekommen, dass alles mit allem zusammenwirkt in dieser Schöpfung. Alles ist so zusammengefügt, dass aus meiner Sicht eine intelligente Schöpfung dahinter stecken muss. -Stephen King (eigene Übersetzung aus dem Interview)

Dazu sage ich: Amen, lieber Stephen King. Amen. Und ich kann ergänzen, dass ich das übernatürliche Einwirken Gottes auf unsere menschliche Realität persönlich erlebt habe.

Je älter ich wurde und werde, desto mehr verstehe ich aber auch, dass ich Gott nicht verstehen und begreifen kann. Dazu reicht mein menschlicher Verstand, mein Vorstellungsvermögen nun einmal nicht aus. Nicht einmal meine Phantasie ist groß genug.

  • Ein Gott, zu dem Milliarden Menschen beten – ein großer Teil von ihnen womöglich gleichzeitig – und der dennoch einzelne Gebete hört und darauf reagiert … das ist mir unvorstellbar und unbegreiflich.
  • Ein Gott, der seine Geschöpfe zwar liebt, schließlich sind sie ja sein Werk, sie aber dennoch zu Zigtausenden auf grausame Weise schon weit vor dem biologisch unausweichlichen Lebensende zu Tode kommen lässt (Naturkatastrophen, Gewalttaten, Seuchen, Krankheiten) … das ist mir unvorstellbar und unbegreiflich.
  • Ein Gott, der allwissend ist, es gut mit seiner Schöpfung samt Menschen meint und trotzdem – je nach Religion via Schlange im Paradies oder auf andere Weise – die paradiesischen Umstände seiner eigenen Schöpfung zerstören lässt … das ist mir unvorstellbar und unbegreiflich.

Und noch vieles mehr verstehe ich nicht. Warum der eine, der sich im Gebet an Gott wendet, geheilt wird, während der andere krank bleibt, zum Beispiel. Warum der eine in Reichtum lebt und der andere verhungert – obwohl beide zu Gott, zum selben Gott, beten.

Das ändert aber alles nichts an meinem Glauben. Wenn ich Gott begreifen könnte, wäre er entweder ein sehr kleiner Gott oder ich kein normaler Mensch.

An genau diesem Punkt beginnt aus meiner Sicht die Gefährlichkeit der Religion. Sie versucht nämlich, das Unerklärliche zu erklären. Den Unerforschlichen zu erforschen. Aus dem Unfassbaren ein Regelwerk von Geboten, Gesetzen, Verboten und anderen Regeln aufzustellen und die Menschen hineinzuzwängen.

Manchmal ist dies sehr offensichtlich:

  • Mohammedaner, die sich und andere mit Sprengstoff in den Tod reißen oder anders- und nichtgläubige Menschen abschlachten, weil man ihnen beigebracht hat, dass sie so Gottes Willen vorantreiben.
  • Christen, die Kontinente erobern und ganze Völker zu Sklaven machen, weil man ihnen erzählt hat, dass sie so dem »Missionsbefehl« Folge leisten.
  • Hindus, die Menschen in Kasten einteilen und so von Geburt an zu einem Leben als Knechte für die dreckigsten und niedrigsten Arbeiten verurteilen, weil die Götter das nun einmal so vorherbestimmen.

Solche grässlichen Auswüchse sind offensichtlich. Es gibt aber unzählige andere Gefahren, die meist verborgen bleiben. Im Namen der jeweiligen Religion werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres Glaubens beziehungsweise Nichtglaubens verurteilt, diskriminiert, verfolgt, verachtet und sogar getötet. Nicht nur im finsteren Mittelalter, auch heute noch. Menschen werden Ängste eingeredet, wenn sie sich nicht den Regeln ihrer Religion entsprechend verhalten. Menschen werden missachtet, weil sie nicht den jeweiligen Idealvorstellungen entsprechen. Und es wird, auch das ist wahr, mit der Religion jede Menge Geld verdient, das in den Taschen einiger Spitzenführer landet anstatt Not und Elend zu lindern. Vor allem in Amerika in den oft an einer bestimmten Person hängenden Megakirchen und vorgeblich christlichen Fernsehshows. Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen Geld verdienen. Aber das sollte dann nicht »Liebesgabe« oder »Opfer für Gott« genannt werden.

Darum halte ich die Religion, den institutionalisierten Glauben, für eine sehr gefährliche Angelegenheit. Ganz abgesehen davon, dass durch solche Exzesse und Auswüchse jeder Gläubige, obwohl er persönlich womöglich ganz anders denkt, glaubt und lebt, in Misskredit gerät.

Die Schuld an solchen Missständen Gott in die Schuhe zu schieben, wäre zu billig und unredlich. Es liegt doch letztendlich an uns Menschen, dass wir uns immer wieder anschicken, Gott und sein Handeln oder NIchthandeln erklären und seinen Willen interpretieren zu wollen. Noch schlimmer: manche greifen zur Gewalt, um das, was sie für Gottes Willen halten, durchzusetzen. Koste es, was es wolle, einschließlich Menschenleben.

Religion ist gefährlich. Dennoch habe ich mich entschieden, an Gott zu glauben. -Stephen King (eigene Übersetzung aus dem Interview)

Genau so ist es auch bei mir. Ich wünsche meinen Lesern gerade in der bevorstehenden Adventszeit, dass sie Gott begegnen, anstatt mit allerlei religiösen Wüchsen und Auswüchsen konfrontiert zu werden.

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