Freitag, 27. Februar 2015

Ich bin so gerne unmodern.

Modern sein - das halten viele für richtig und wichtig. Aber was heißt das eigentlich bezüglich unseres Lebensstils? Bedeutet »moderner Lebenswandel« hohe Anspannung und ständige Sorge um Aufgaben, Arbeitspensum und Lebensunterhalt, gepaart mit sozialer Phobie? Ist man »modern«, wenn einem Friede, Ruhe, Gelassenheit und heitere Gemütsruhe fremd geworden sind?

Zugegeben: es gelingt mir nicht immer, im Berufsleben - oder bei Terminfülle auch im privaten Bereich - die Ruhe zu bewahren. Aber ich habe inzwischen ein paar Dinge gelernt, die mir dabei helfen, deutlich öfter und leichter als früher einmal Gelassenheit und inneren Frieden wieder herzustellen. Möglich ist das durch Gewohnheiten, die ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe. Ich bin, wie gesagt, nicht perfekt darin, aber ich halte an diesen Gepflogenheiten fest und erlebe sie stets als hilfreich.

Es sind Gewohnheiten, von denen hier die Rede ist, also keine Entscheidungen für den Moment aus dem Moment. Nichts, was man einmal tut, um etwas zu erledigen. So leicht ist es leider nicht, Stress von Geist, Körper und Seele fernzuhalten.

Wir reagieren natürlich alle irgendwie auf gewisse Ereignisse und Umstände, wenn sie uns begegnen. Wir können auch meist nicht beeinflussen, welche Situationen auf uns zukommen, wie Menschen mit uns umgehen. Das einzige, was in unserer Hand liegt, ist unsere Reaktion darauf - und die ist oft ausschlaggebend für unser weiteres Befinden. Man kann auf das gleiche Ereignis mit Angst und Wut reagieren oder mit Ruhe und Besonnenheit.

Wie geht das nun aber konkret?

Hier sind meine persönlichen Erfahrungen - ob die bei meinen geschätzten Lesern funktionieren, darf jeder und jede selbst herausfinden.

1. Ein Morgen ohne Hektik.

Ich stelle den Wecker so rechtzeitig ein, dass ich vor dem Aufbruch zum Arbeitsplatz ausreichend Zeit für eine Tasse Kaffee habe, beim Genießen desselben in Ruhe einen neugierigen Blick ins Internet tun, ohne Eile duschen und mich ankleiden und mir meinen Kaffee zum Mitnehmen nebst Frühstück vor- und zubereiten und dann auch noch den Weg zur Arbeit mit dem Auto ohne Stress am Steuer bewältigen kann.

2. Aufmerksamkeit für die eigenen Reaktionen.

Wenn mir eine Situation begegnet, die Stress verursachen möchte, wie reagiere ich darauf? Ich habe mir angewöhnt, nicht sofort aktiv zu werden, sondern zuerst meine impulsive Reaktion in Augenschein zu nehmen. Bekomme ich einen Schreck und reagiere mit Flucht- oder Angriffsreflex? Fühle ich mich entmutigt und überwältigt? Oder reagiere ich gar mit Selbstmitleid: warum schon wieder ich? Nur wenn man die eigene impulsive Reaktion bewusst erkennt, kann man gegebenenfalls gegensteuern.

3. Nicht alles gleich persönlich nehmen.

Wir neigen vermutlich alle dazu, Dinge persönlich zu nehmen. Mir zumindest geht es oft so. Wenn jemand etwas tut, was uns missfällt, werten wir es (innerlich) als persönlichen Affront. Es gibt sogar Menschen, die meinen, das Universum oder Gott hätte etwas gegen sie persönlich, weil ihnen dieses oder jenes widerfährt. Das halte ich für ziemlichen Unfug.
Meist hat die andere Person ein Problem, nicht ich selbst, wenn es zu unangenehmen und unerfreulichen Begegnungen kommt. Und oft genug weiß ich einfach zu wenig über das, was im Mitmenschen vorgeht, um ein auch nur einigermaßen angemessenes Urteil über sein Verhalten zu bilden. Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, bei der ich im Kreisverkehr die Vorfahrt missachtet habe. Nicht, weil ich den Autofahrer, der wegen meines Fehlverhaltens bremsen musste, nicht mochte, sondern weil meine Gedanken bei meiner Frau waren, die zu jenem Zeitpunkt im Krankenhaus operiert wurde.
Man kann es sich durchaus angewöhnen, Ereignisse nicht sofort als Angriff zu betrachten sondern eher wie ein Ereignis, das gar keinen persönlichen Bezug hat. Wenn ein Blatt vom Baum fällt oder ein Vogel vorbeifliegt - dann kann ich darauf mit positiven Gedanken reagieren oder eben gar nicht. Das ist allein meine Entscheidung.

4. Dankbar sein.

Viele Menschen reden über Dankbarkeit ... aber wie oft wenden wir sie wirklich in unserem unspektakulären, ganz und gar alltäglichen Alltag an? Ich habe mir angewöhnt, so achtsam und sensibel für all das Gute wie möglich durch den Tag zu gehen.
Natürlich gibt es Dinge und Ereignisse, für die niemand dankbar sein kann, solange er noch seine Sinne beisammen hat. Dankbar sein für die Krebserkrankung? Nein. Nie und nimmer. Dankbar für den frühen Tod des Vaters? Nein. Nie und nimmer. Dankbar für die rücksichtslose Kollegin, die beim winzigsten Sonnenstrahl die Jalousien schließt? Nein. Nie und nimmer. Und so weiter. Da kann sich sicher jeder Leser eine eigene Liste zusammenstellen.
Aber das schließt doch nicht aus, dass ich dankbar bin für die mir heute wiederum verliehene Gesundheit. Für die glückliche Ehe. Für das Essen auf meinem Teller. Für die Mittagspause, in der ich im wärmenden Sonnenschein einen Spaziergang machen kann. Für den Frieden in unserem Land. Für die Freiheit, die wir genießen. Und so weiter. Auch hier kann sich sicher jeder Leser eine eigene Liste zusammenstellen.

5. Strategien gegen ungesunde Folgen von Stress entwickeln.

Auf Stress reagieren wir meist so, dass wir uns selbst schaden. Mit Ärger, Wut, Rückzug ... manche Menschen neigen zu Fressattacken, andere greifen zu Alkohol oder Drogen oder landen in einem Kaufrausch ... es gibt zahllose Möglichkeiten, die uns nichts Gutes tun.
Wenn man, siehe Punkt 2, verstanden hat, wie die eigene typische Reaktion aussieht, kann man sich angewöhnen, anders zu reagieren. Zum Beispiel den Alkohol stehen lassen und statt dessen einen Spaziergang in grüner Umgebung machen. Statt sich mit Süßigkeiten vollzustopfen geht man eine Runde Joggen. Statt ins Kaufhaus zu stürmen und Dinge zu kaufen, die gar nicht benötigt werden, eine halbe Stunde meditieren.

6. Kein Multitasking!

Zu diesem Thema gibt es bereits einen ausführlicheren Artikel aus meiner Feder: [KLICK!]
Überall sieht man es: Textnachrichten werden nebenbei während der Sitzung verfasst, beim Essen werden Vertragskonditionen besprochen, sogar die ARD fordert per Einblendung dazu auf, sich während der Tatort noch läuft bereits online zu äußern und zu kommentieren ... Multitasking ist so modern wie schädlich. So nähren wir das Gefühl, immer noch mehr gleichzeitig schaffen und erledigen zu müssen, weil wir sonst nicht »dazugehören«, nicht »mithalten«. Das geht dann so weit, dass uns ein schlechtes Gewissen plagt, wenn wir eine halbe Stunde gar nichts tun. ‚Ich sollte jetzt den Abwasch erledigen, ich könnte jetzt die kaputte Sicherung im Auto suchen und ersetzen, der Müll müsste runtergebracht werden ...‘
Ich habe mir angewöhnt, eine Sache zu tun. Eine. Nicht zwei und nicht drei gleichzeitig. Zum Beispiel beim Beginn der Arbeit: Ich gehe die eingegangenen Emails durch und bearbeite die Anliegen, soweit es sofort möglich ist. Urlaubstage buchen, eine Auskunft erteilen, eine Bescheinigung anfordern und so weiter. Was erledigt ist, wird sofort aus dem Posteingang entfernt. Ich esse auch nicht nebenbei, während ich noch mit einem Arbeitsgang beschäftigt bin. Ich schreibe keinen Arbeitsvertrag, wenn ich die Gehaltsabrechnungen durchführe. Punkt. Basta.
Ich lade meine geschätzten Leser ein, es auszuprobieren: Eine Sache, dann erst die nächste. Es ist erstaunlich, wie viel Gelassenheit und Ruhe im Inneren entsteht und es ist (für manche chronischen Multitasker) genauso erstaunlich, wie viel mehr man auf diese Weise tatsächlich abarbeiten und erledigen kann.

7. Ruhe schaffen.

Mein Alltag ist von Geräuschen noch und noch erfüllt. Vom klingelnden Telefon bis zu irgendwelchen Durchsagen beim Einkaufen, vom Straßenlärm in Neukölln (mein Arbeitsplatz) bis zum vernehmlichen Schleudergang der Waschmaschine gibt es genug Lärm, den wir nicht einfach abstellen können. Um so wichtiger ist es, das auszuschalten, was abschaltbar ist.
Mein PC gibt keinen Ton von sich, wenn eine Email eingeht. Mein mobiles Telefon ist so gut wie immer stummgeschaltet. Wenn ich mit dem Hund spazieren gehe, höre ich keine Musik über Kopfhörer. Manchmal ist so ein Kopfhörer hilfreich: Beim Sport im Sportstudio zum Beispiel, um nicht die Ummts-Ummts-Ummts-Beschallung mit Piepsstimmenbeigaben ertragen zu müssen, die dort über die Hauslautsprecher übertragen (und für Musik gehalten) wird. Oder beim Mittagsspaziergang im Industriegebiet, da höre ich lieber klassische Musik als Verkehrs- und Maschinenlärm. Ich höre auch zu Hause gerne Musik, kann dabei wunderbar entspannen, aber wichtig und heilsam und wohltuend sind mir auch die stillen Zeiten geworden, in denen einfach nur Ruhe herrscht. Ob zu Hause auf dem Sofa oder unterwegs im Grünen.

Das alles mag nicht modern sein. Man ist heute ‚in‘, wenn man von Termin zu Termin hetzt, zehn Sachen gleichzeitig macht und dabei ständig mürrisch aus der Wäsche schaut. Da bin ich lieber gelassen und unmodern.

Ich wünsche meinen Lesern in diesem Sinne unmoderne, aber dafür weit weniger schädliche Zeiten in ihrem Leben.

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Mehr zum Thema gesünderes und glücklicheres Leben steht in diesem Buch:
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