Freitag, 26. Juni 2015

Herr K. schreibt einen Brief an Gott

old letters: noneMeine regelmäßigen und langjährigen Blogbesucher kennen Herrn K. bereits ein wenig. Wir sind ihm begegnet, als er Produktionskräfte suchte und fand – und dann die Welt nicht mehr verstand [Herr K. und der Großauftrag]. Er war einige Zeit danach in einem Gottesdienst gelandet [Herr K. besucht einen Gottesdienst] und fand vieles sehr befremdlich, manches auch schlicht unverständlich. Dort lud ihn eine Dame in einen Hauskreis ein - wie sich herausstellte, war das weder ein Kreis von Gebäuden noch ein rundes Haus, sondern eine recht skurrile Zusammenkunft von Menschen [Herr K. besucht einen Hauskreis]. Dann verreiste Herr K. dienstlich und kam dabei beinahe ums Leben - eine Prostituierte kam ihm gerade noch rechtzeitig zu Hilfe [Herr K. reist nach Greifswald].

Herr K. hat inzwischen über vieles nachgedacht, fand auf etliche Fragen keine Antworten und daher hat er sich schließlich aufgerafft, einen Brief an Gott zu verfassen. Dieses Schreiben fiel mir in die Hände - und hier ist nun der Wortlaut.

Sehr geehrter Herr Gott,

ich bin mir, das sei vorausgeschickt, schon in der Anrede unsicher. Vor einiger Zeit habe ich einen sogenannten Gottesdienst sowie einen sogenannten Hauskreis besucht, da wurden Sie mit dem vertraulichen Du angesprochen. Da wir uns aber fremd sind, ziehe ich es vor, die gewohnte höfliche Anrede zu benutzen. Falls dies gegen die üblichen Etikette verstößt, bitte ich um Ihr Verständnis und Ihre Nachsicht - ich weiß es nicht besser.

Dass ich einen Brief an Sie schreibe, scheint natürlich auf den ersten Blick recht töricht, da ich nicht wüsste, auf welchem Wege er Sie überhaupt erreichen kann. Die Pin-AG wäre mit der Zustellung sicherlich genauso überfordert wie die gute alte Post. Aber ich bin nun einmal ein Freund gut durchdachter Formulierungen, vor allem dann, wenn es um wichtige Dinge geht. Und die Kontaktaufnahme mit Ihnen, Herr Gott, ist für mich schon eine bedeutsame Angelegenheit. Ein Brief ist daher viel besser geeignet, als ein verbaler Versuch, Ihnen etwas mitzuteilen.

Ich habe viele Fragen an Sie, aber damit dieser Brief einen unter zivilisierten Personen vertretbaren Umfang nicht überschreitet, will ich mich auf die paar wichtigsten Punkte beschränken. Falls zwischen Ihnen und mir ein Dialog zustande kommen sollte, freue ich mich schon jetzt auf den zukünftigen Informationsgewinn, denn dann könnte ich sicher ja nach und nach mehr Klarheit gewinnen. Dass ich Sie, sehr geehrter Herr Gott, jemals ganz verstehen werde, halte ich für ausgeschlossen, denn ich bin nun einmal ein Mensch und somit nur in begrenztem Umfang mit Verstand, logischem Denkvermögen und Phantasie ausgestattet. Das wiederum wissen Sie, falls Sie tatsächlich der Schöpfer unserer Lebensform sind. Und wenn Sie dies wissen und bei der Schöpfung so gewollt haben, kann ich sicher mit Ihrem Verständnis rechnen. Andernfalls wären Sie ein Gott, der unmögliche Forderungen stellt ... und davon möchte ich nicht ausgehen.

Dies vorausschickend möchte ich gerne zu meiner ersten Frage kommen: Warum verstecken Sie sich so gekonnt vor uns Menschen? Oder verstecken Sie sich gar nicht, sondern wir sind mit einer Art von Blindheit geschlagen? Wenn das so ist - warum sind Sie nicht daran interessiert, diese Blindheit zu beheben?

Ich will gerne erläutern, was ich meine. Wenn Sie der Schöpfer - nein, Verzeihung, der Konjunktiv ist hier nicht am Platze. Also: Da Sie der Schöpfer dieses Planeten und des vielfältigen Lebens darauf sind, gehe ich davon aus, dass Ihnen die Afrikaner so wichtig sind wie die Europäer und die Asiaten oder die Araber. Da Sie, da sind sich die religiös interessierten Menschen weltweit weitgehend einig, auch an einer Beziehung zu uns Menschen Interesse haben, wäre es doch naheliegend, dass Sie sich Ihren Geschöpfen auf eine Art und Weise zu erkennen geben, die von eben diesen Geschöpfen auch soweit verstanden wird, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Kulturen und Rassen doch eine gemeinsame Vorstellung darüber möglich wäre, wer Sie sind.

Statt dessen gab es in der gesamten Menschheitsgeschichte Krieg, Mord und Totschlag allein aufgrund der gegensätzlichen Auffassungen und Überzeugungen bezüglich Ihres Wesens, Ihrer Persönlichkeit. Das hat sich bis heute nicht geändert. Nehmen Sie, sehr geehrter Herr Gott, das nicht billigend in Kauf, indem Sie sich weiter und weiter versteckt halten?

Bitte verstehen Sie meine Frage nicht als Vorwurf. Das sei ferne! Um es mit den Worten des wunderbaren Musikers Johnny Cash auszudrücken: Mein Arm ist deutlich zu kurz, um mit Gott zu ringen. Nein, um einen Vorwurf geht es mir nicht, sondern um meine Suche nach Verständnis Ihres Wesens, Ihrer Wünsche, Ihrer Einschätzungen - letztendlich nach Ihnen selbst.

Sie verstecken sich so gut vor den Menschen, dass noch nicht einmal innerhalb einer Religion Klarheit über ein Gottesbild zustande kommt. Wenn ich mir das Christentum ansehe, habe ich nicht nur Katholiken und Protestanten vor mir, sondern auch noch jede Menge Splittergruppen und Strömungen, die allesamt davon überzeugt sind, die reine und unverfälschte Wahrheit zu kennen und zu predigen. Alle anderen sind dann jeweils keine wahren, keine bibeltreuen, keine echten, keine wiedergeborenen, keine weißnichtwasnoch Christen.  Was soll ich nun als Mensch, der Sie, Herr Gott, sucht, damit anfangen? Oder ist es einfach eine Geschmacksfrage, ob ich Weihrauch, Talare, Ornamente und Symbolismen katholischer Gotteshäuser bevorzuge oder den nüchternen, schmucklosen Mehrzweckraum einer freikirchlichen Gemeinschaft? Ob mir liturgische Gesänge eher gefallen oder hysterisches Krakeelen oder peinliches Schluchzen? Ob ich eine durchdachte, strukturierte Predigt mag oder eine emotionale, flache Rede in Überlänge?

Noch verwirrender als solche äußerlichen Dinge ist allerdings die Frage, was Sie von uns Menschen erwarten, wie wir leben und sterben sollen. Falls es ein Leben nach dem irdischen Tod geben sollte, ist diese Frage nach Auffassung so gut wie aller Religionen ja nicht unerheblich.

Sind Sie erbost, wenn ein Mensch zum Feierabend ein Glas Wein oder Bier trinkt? Es gibt Religionsgemeinschaften, die das behaupten. Oder bestehen Sie gar, wie einige lehren, auf gewissen Fasten- und Ernährungsregeln? Und wenn ja, ist es dann egal, ob man den Ramadan oder die vorösterliche Fastenzeit vorzieht?

Genauso verwirrend wie Speis und Trank ist es ja für mich, wenn Gläubige sich gegenseitig schier gar (und manchmal buchstäblich) die Köpfe einschlagen, weil andere Menschen sexuelle Prägungen oder Gewohnheiten haben, die den eigenen nicht entsprechen. Was geht es denn, sehr geehrter Herr Gott, einen Menschen an, ob sein Mitmensch gleichgeschlechtlich liebt oder nicht? Er muss es ihm ja schließlich nicht gleichtun, wenn er heterosexuell fühlt und denkt.

Die Verwirrung, die ich empfinde, ließe sich noch schier endlos weiter beschreiben. Sind Sie politisch links gesinnt oder rechts oder liberal? Sind Sie für die Rassentrennung oder zürnen Sie darüber? Legen Sie Wert darauf, am Sonntag verehrt zu werden oder darf eine Gemeinde sich auch am Samstag versammeln? Dies alles noch weiter auszuführen, erspare ich mir und Ihnen, sehr geehrter Herr Gott. Letztendlich, wie ich es auch drehe und wende, lande ich immer wieder bei der eigentlichen Frage: Warum verstecken Sie sich vor uns?

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, sehr geehrter Herr Gott, falls Sie mir durch diese Zeilen gefolgt sein sollten. Abschicken kann ich den Brief ja nicht, ich wüsste nicht wohin. Aber wenn Sie ein Gott von der Dimension sind, die mir vorschwebt, dann sind Ihnen meine Zeilen nicht verborgen geblieben.

Mit freundlichen Grüßen und hochachtungsvoll,
Herr K.

P.S.: Das Bild stammt von rgbstock.

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