Samstag, 29. Oktober 2016

#LOVEmber2016 – demnächst an dieser Stelle

Möchtest du dich an meiner Blogaktion zu Ehren des vernachlässigten Monats November beteiligen?
Diese Frage stellte mir kürzlich die Vorgärtnerin. Sie hängte einige Themenvorschläge oder Ideen oder Gedankenanstöße mit an den elektronischen Brief. Ich schaute mir das Schlamassel an und beschloss, dass ich mich beteiligen möchte.
Aufgabenzettel LOVEmber-3Ich weiß noch nicht, ob ich alle 30 Tage des vernachlässigten Monats mit Beiträgen füllen werde, aber ich werde mich zumindest darum bemühen. Meine geschätzten Blogbesucher dürfen sich also auf Themen wie Lieblingstiere, wo ich gerade stehe, ein Geheimnis oder auch 11 Fotos von heute freuen. Und das alles, um dem November sein Schicksal erträglicher zu gestalten. Das sieht nämlich so aus:
… vernachlässigt ist er, weil er auf Kalendern fast immer Oktoberfotos kriegt, und wer mag ihn schon, außer vielleicht die Leute, die da Geburtstag haben? Er kann ja nix dafür, dass die Bäume ihre Blätter runterwerfen und dann alles braun und glitschig wird …

Außer mir beteiligen sich noch zahlreiche weitere Blogger (auch weiblichen Geschlechts natürlich) an der Aktion. Na denn. Am 1. November um zwei Uhr zwei in der Nacht wird der erste Blogbeitrag zum #LOVEmber2016 an dieser Stelle erscheinen. Nur so als Vorgeschmack heute schon mal ein recht buntes Novemberbild aus dem Jahr 2004, als wir einer Grundsteinlegung beizuwohnen die Freude hatten.

grundstein
So.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Leonard Cohen: You Want It Darker

Wenn vom Kunst die Rede ist, sei es nun Literatur, Musik oder eine der anderen Erscheinungsformen, dann ist jede Rezension naturgemäß subjektiv. Was mir Freude macht, mag einen anderen Menschen langweilen, was mir missfällt, ist für andere Menschen womöglich ein Hochgenuss. Und das ist auch gut so. Was ich also hier über Leonard Cohens »You Want It Darker« zu sgaen habe, ist eine sehr persönliche Sicht.

Mit Superlativen bin ich zurückhaltend, ich könnte auch nicht sagen, welches Album von Leonard Cohen sein bestes wäre - aber »You Want It Darker« ist auf jeden Fall ein Meisterwerk. Dem 82jährigen ist so etwas wie ein krönender Abschluss seines künstlerischen Schaffens als Musiker gelungen. Es wird zwar aller Voraussicht nach laut Adam Cohen ein weiteres Album, ein orchestrales Werk, geben, aber das bleibt abzuwarten.

14724593_10207683434792001_5442476281373428787_nAuf »You Want It Darker« schließen sich für mich viele Kreise. Zum Beispiel hieß es einst (1969) bezüglich der Geschichte von Abraham und Isaak: »You who build these altars now to sacrifice these children, you must not do it anymore. A scheme is not a vision and you never have been tempted by a demon or a god.« Das war der zornige, gegen Gott und die Welt aufbegehrende Cohen. Auf dem neuen Album kommt er im Titelsong auf diese biblische Geschichte zurück und singt: »Hineni Hineni - I’m ready, my Lord.« Hineni ist das hebräische »Hier bin ich«, mit dem Abraham seinen unbedingten Gehorsam ausgedrückt hat. »Magnified and sanctified be Thy Holy Name« - da schließt sich auch der Kreis zum »broken, very lonesome Hallelujah«. Ohne, dass die Augen vor der Tatsache verschlossen würden, dass Gebete oft genug ohne Antwort bleiben: »A million candles burning for the help that never came.«

Im nächsten Lied, »Treaty«, zeigt sich (für mich, wie gesagt ist das alles sehr subjektiv) die Kluft zwischen Christentum und Judentum und der Wunsch nach einer Brücke, einem Vertrag zwischen den beiden Religionen. »I seen you change the water into wine, I seen you change it back to water too. ... I do not care who takes this bloody hill, I’m angry and I’m tired all the time. I wish there was a treaty between your love and mine.«

Ist es Altersweisheit, die sich in »On The Level« äußert? »Now I’m living in this temple where they tell you what to do. I’m old and I’ve had to settle on a different point of view.« Wir kommen in unseren reiferen Jahren zu anderen Schlüssen als in der Jugend. Und lassen dabei so manche Sichtweise als untauglich hinter uns. »When I turned my back on the devil, turned my back on the angel too.«

Jedes der Lieder ist in gewisser Weise ein Abschied - aber kein weinerlicher, auch kein zorniger oder enttäuschter, sondern das Album atmet Gelassenheit, Ruhe und sehr viel Frieden. Es ist für mich Leonard Cohens religiösestes Werk, abgesehen von seinem literarischen Book of Psalms natürlich. Der Kreis der Auseinandersetzung mit Gott, seinen Wegen und seinem Willen, schließt sich nicht in Resignation, sondern ungefähr so, wie es Johnny Cash ausgedrückt hat, als er sich dem Ende seines langen Lebens näherte: My arms are too short to wrestle with God.«

»You Want It Darker« wird auf jeden Fall eines meiner bevorzugten Leonard Cohen Alben bleiben. Die sparsame Instrumentierung passt so gut zu den Liedern, dass tatsächlich ein Gesamtkunstwerk entsteht, in dem Texte, Musik und Arrangements perfekt zusammenpassen. Ein Abschiedsalbum ohne Sentimentalitäten - traurug durchaus, aber nicht trost- oder hoffnungslos. Beim Anhören von Nick Caves »Skeleton Tree« färbt die Trauer auf mein Befinden ab - bei »You Want It Darker« empfinde ich trotz der innerlichen Auseinandersetzungen mit Gott und der Welt (und dem, was uns in der Welt so alles begegnet) Frieden, wenn die letzten Töne verklingen.

Hier kann man das Album bei Interesse kaufen:

Dienstag, 25. Oktober 2016

Du musst hier raus … – Teil 4 (Ende)

Liebe Blogbesucher, wir haben ja sicher nicht vergessen, dass wir hier eine Geschichte lesen. Falls doch, möchte ich erinnern: Die Handlung und alle handelnden Personen, Bezeichnungen und Lokalitäten sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen oder Lokalitäten und Bezeichnungen wären rein zufällig.
Es wäre übrigens nicht sinnvoll, eine Geschichte mit dem Ende zu beginnen Falls also jemand die zuvor geschriebenen Teile noch nicht gelesen hat: [
Teil 1] // [Teil 2] // [Teil 3]

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Am 8. April 2016 saß er dann beim jährlichen »Mitarbeitergespräch« dem (noch) gut gelaunten, wohl nichts ahnenden Herrn Immermüller gegenüber und ergriff das Wort: »Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie auf meinen Verbleib in der Firma keinen Wert legen. Sie haben es ja schon vor einiger Zeit geschafft, dass ich Ihnen kein Wort mehr glauben kann, wenn Sie etwas versprechen. Daher will ich in diesem Gespräch von Ihnen auch keine Zusagen mehr hören, was Sie eventuell zu tun gedenken. Ich will Ihnen nur mitteilen, dass ich lieber heute als morgen die Firma verlassen würde, um dieser Situation, die mich zunehmend krank macht, zu entkommen …«

Damit war das Leitlinien-Konzept für ein solches Gespräch zunichte gemacht. In den nächsten dreißig Minuten ging es nur noch darum, wie der Ausstieg vonstatten gehen konnte. Eine Kündigung seitens der Firma kam nicht in Frage, da Johannes Matthäus 18 Jahre Betriebszugehörigkeit hatte und schwerbehindert war. Er lehnte es ab, selbst zu kündigen, da ihn das ohne jegliche finanzielle Abfederung hätte dastehen lassen und schlug einen Aufhebungsvertrag aus gesundheitlichen Gründen vor. Sollte diese Einigung nicht zustande kommen, würde er so gut wie möglich durchhalten. Dass er aber zukünftig öfter krankheitsbedingt ausfallen würde, war absehbar. Er erklärte seinem Vorgesetzten die Zusammenhänge zwischen Krebserkrankung, Chemotherapie und Fatigue Syndrom, seine gesundheitlichen Einschränkungen und die Unzumutbarkeit der Zwangsverdunkelungen und mangelnden Frischluftzufuhr zum nunmehr vierten Mal. Erstmals hatte er den Eindruck, dass Herr Immermüller das alles tatsächlich zur Kenntnis nahm.

b13d1dc8832411e1abb01231381b65e3_7Johannes Matthäus hatte alle Varianten des Ausstiegs vorher mit seiner Frau besprochen. Sie hatten die Vorausberechnungen der vorzeitigen Rente bekommen und hin- und hergerechnet, was finanziell noch machbar war und was nicht. Johannes Matthäus hatte sich mit seinem Arzt beraten, der aus medizinischer Sicht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses dringend empfahl. Eine Freundin der Familie, die ihr gesamtes Berufsleben bei der Rentenversicherung verbracht hatte, hatte bei der Entschlüsselung der für Laien unverständlichen Rentenauskunft geholfen und sofort Fehler aufgespürt.

Johannes Matthäus hatte mit sich gehadert, denn er war nun mal ein Mensch, der nicht zum Aufgeben neigte. Er kämpfte eher als zu kapitulieren. Aber er hatte sich auch nichts vorgemacht: Es würde sich nichts bessern an seinem Arbeitsplatz. Absolut nichts. Das machte ihm zusehends mehr zu schaffen. Sich zusammenreißen, sich einen Ruck geben – das funktionierte nicht mehr. »Du musst hier raus!« – die innere Stimme wurde immer lauter und deutlicher.

Johannes Matthäus rechnete, als er nun seinem Vorgesetzten gegenübersaß, aufgrund der in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen nicht damit, dass er mit seinem Vorschlag Gehör finden würde. Es war zwar so manches Gebet um einen Ausweg aus der Lage zum Himmel gestiegen, aber all die Enttäuschungen der Vergangenheit ließen nichts Gutes ahnen. Doch zu seiner großen Überraschung wirkte Herr Immermüller nicht nur ehrlich überrascht, sondern aufmerksam und zugewandt. Damit hatte er offenbar nicht gerechnet. Er sagte keine Ergebnisse zu, versprach lediglich, dass er sich die Sache in den nächsten Tagen durch den Kopf gehen lassen und dann der Geschäftsleitung unterbreiten wollte.

Nach einer Woche signalisierte Herr Immermüller, dass er einverstanden sei und sich bei der Geschäftsleitung für das Modell Aufhebungsvertrag stark machen wolle. Johannes Matthäus war skeptisch. Zehn Tage später allerdings waren dann die Vertragsinhalte ohne Abstriche an den Vorgaben von Johannes Matthäus abgestimmt, und die Aufhebungsvereinbarung wurde unterschrieben. Herr Immermüller hatte sein Wort gehalten. Johannes Matthäus hatte lediglich noch fünf Monate im Hause QVL vor sich.

Schon dieses Wissen war eine Erleichterung, die innerliche Verkrampfung löste sich ein wenig. Er konnte aufatmen. Durchatmen. Beschwerliche Stunden leichter überstehen. Die verbliebene Zeit wurde darüber hinaus durch die glückliche Fügung erträglicher gestaltet, dass Schnepfe 1 für längere Zeit ausfiel – so konnte das Büro in den Sommermonaten ordentlich belüftet werden, Fenster und Tür standen weit offen, es herrschte herrlicher Durchzug. Schnepfe 2 war eine Weile im Urlaub, so dass es Licht an Johannes Matthäus Arbeitsplatz gab. Er brauchte seinen Resturlaub auf und arbeitete schließlich in den letzten vier Wochen seinen Nachfolger ein.

Die Geschäftsleitung organisierte eine Feier zur Verabschiedung und überraschte ihn mit einem großzügigen Geschenk sowie einer gelungenen Ansprache eines Geschäftsführers. Auch die Belegschaft hatte gesammelt und so ein weiteres Geschenk ermöglicht. Auf der begleitenden Karte voller Autogramme fehlten Schnepfenunterschriften, aber das überraschte Johannes Matthäus nicht. Es kamen so gut wie alle Angestellten zur Feier, um sich zu verabschieden, mit vielen lieben Worten, sogar Umarmungen und ein paar Tränen in manchen Augen.

Mit Herrn Immermüller hatte es ein paar Tage zuvor ein letztes ausführliches Gespräch gegeben, bei dem dieser sein Bedauern ausgedrückt hatte, dass es ihm nicht gelungen war, Johannes Matthäus seine Wertschätzung zu vermitteln. Es wurde nicht mehr diskutiert oder gestritten, sondern die beiden gingen in allem Frieden und gutem Einvernehmen darüber auseinander, dass ein Einvernehmen in manchen Punkten nicht möglich war und auch nicht sein würde. So etwas passiert nun mal im Leben. Damit kann man sich arrangieren. So konnten sich die beiden dann bei der Abschiedsfeier in die Augen sehen und mit einem festen Händedruck endete nach achtzehneinhalb Jahren Johannes Matthäus Berufstätigkeit im Hause QVL.

Dieser harmonische und versöhnliche Ausklang nach so langer Zeit in der Firma tat ihm gut. Er wusste noch nicht, wie es finanziell weitergehen würde, da die beteiligten Behörden im ihnen eigenen Tempo arbeiteten. Aber sein Gottvertrauen war gestärkt und von Tag zu Tag erholte er sich mehr. Er wusste, dass er das chronische Fatigue Syndrom nicht loswerden konnte, aber nun gab es keine Umstände mehr, die zur Verschlimmerung der Auswirkungen führten. Das deutliche Plus an Lebensqualität wog schwerer als die voraussichtlichen finanziellen Einbußen.

Niemand weiß, wie lange sein Leben währt. Bitter wäre es, wenn man eines Tages feststellen müsste, dass das, was man für das Stimmen der Instrumente gehalten hatte, schon das Konzert gewesen ist.

Montag, 24. Oktober 2016

Du musst hier raus … – Teil 3

Wir erinnern uns, liebe Blogbesucher, dass wir hier eine Geschichte lesen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen und wirklichen Orten – Sie haben das noch im Kopf – wären rein zufälliger Natur und sind nicht beabsichtigt. Das bereits Erzählte steht hier: [Du musst hier raus … Teil 1] – [Du musst hier raus … Teil 2]. So. Und nun geht es weiter:

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Doch auch dieses Versprechen wurde gebrochen. Am Tag des tatsächlichen Umzugs musste Johannes Matthäus zur regelmäßigen Krebsnachsorgeuntersuchung und war deshalb nicht in der Firma. Als er am nächsten Tag bei QVL eintraf, hatte Frau Hirte den Platz eingenommen, der ihm versprochen worden war. Johannes Matthäus saß wiederum mit dem Rücken zur Tür gegenüber der vermutlich lichtscheusten Person im ganzen Betrieb. Frau Mosdrich und Frau Hirte hatten so entschieden.

Natürlich protestierte Johannes Matthäus. Er verlangte, dass Frau Hirte den Platz wechseln sollte. Sie weigerte sich, auch nur aufzustehen. Es hätte wohl körperlicher Gewalt bedurft, und das kam natürlich nicht in Frage.

Und Herr Immermüller? Was tat Herr Immermüller? Sie ahnen es ja schon, liebe Leser: Nichts. Ein lahmes »es ist nun mal so, und so bleibt es jetzt auch« war alles. Er bestritt nicht seine Zusage bezüglich der Raumaufteilung, aber er hatte nicht den Mut oder den Willen, sein gegebenes Wort nun auch durchzusetzen, obwohl Johannes Matthäus noch einmal eindringlich daran erinnerte, welche Auswirkungen das Fatigue Syndrom unter den gegebenen Umständen auf seine Leistungsfähigkeit, seine Konzentration und letztendlich auf seine Lebensqualität hatte. Das alles zählte nicht. Dass er die wesentlich längere Betriebszugehörigkeit und ein deutlich höheres Lebensalter hatte, dass er Schwerbehinderter war … hatte kein Gewicht.

An diesem Punkt war Johannes Matthäus klar, dass sein Vorgesetzter keinen Wert auf seine langfristige weitere Mitarbeit legte. Es folgten zwei weitere Ereignisse, die dann den Ausschlag gaben, die Firma zu verlassen.

Das eine Ereignis war der Tod einer Mitarbeiterin, zwei Jahre jünger als Johannes Matthäus. Er hatte sich mit ihr stets bestens verstanden, die berufliche Zusammenarbeit war sehr angenehm, und die beiden konnten auch über Gott und die Welt plaudern, wenn sich die Gelegenheit ergab. Dann wurde Darmkrebs – also die gleiche Erkrankung wie bei ihm selbst – diagnostiziert. Nur neun Wochen später war sie tot. Der Krebs war zu spät entdeckt worden.

Johannes Matthäus wusste bei allem Optimismus und allem Durchhaltewillen, dass aus medizinischer Sicht seine Chancen, die nächsten drei Jahre zu überleben, bei fünfzig Prozent lagen. Er dachte nicht ständig darüber nach, aber vor jeder der vierteljährlichen Untersuchungen häuften sich naturgemäß entsprechende Gedanken und Befürchtungen. Umso größer dann die jeweilige Erleichterung, weil keine neuen Metastasen gefunden wurden und alle Laborwerte auf Tumorfreiheit hindeuteten. Der Tod dieser Kollegin traf ihn sehr und wurde ihm zur eindrücklichen Mahnung, wie schnell und unerwartet das Leben, jedes Leben, enden kann. Sollte er sich wirklich noch bis zur Regelrente den Leiden aussetzen, die ihm durch die Situation im Büro zugefügt wurden?

Das andere, letztendlich dann ausschlaggebende Ereignis begab sich nach seinem Sommerurlaub 2015. Er konnte es zuerst kaum glauben, aber Herr Immermüller hatte tatsächlich Frau Hirte und Frau Mosdrich dazu bewegt, Listen mit Fehlern zu erstellen, die Johannes Matthäus angeblich bei seiner Arbeit machte. Allein die Vorstellung, dass einem Vorgesetzten so etwas einfallen konnte, war absurd. Dass die beiden dann tatsächlich jeweils ein Blatt vollgekritzelt hatten, offenbarte deren Auffassung von Kollegialität überdeutlich.

Johannes Matthäus ging die beiden Listen Punkt für Punkt mit Herrn Immermüller zusammen durch. Punkt für Punkt zeigte sich, dass die angeblichen Fehler keine waren. Von beiden Din-A-4-Blättern blieb buchstäblich nichts übrig, außer dass Johannes Matthäus bei einem mehrseitigen Vertragsdokument vergessen hatte, die Kopfzeilen der Folgeseiten anzupassen. Alles andere, was die beiden Schnepfen, wie Johannes Matthäus sie hinfort für sich bezeichnete, aufgeschrieben hatten, war schlichtweg falsch, oder sie hatten Zusammenhänge nicht verstanden.

WP_20161024_09_11_13_ProGab es im Anschluss eine Entschuldigung von Herrn Immermüller für diesen Vorfall? Nein. Von den Schnepfen? Nein.

Johannes Matthäus überlegte ein paar Tage, ob er den Betriebsrat über diesen ungeheuerlichen Vorgang informieren sollte, aber dann beschloss er, stattdessen seinen Ausstieg vorzubereiten. Das Klima im Personalbüro war so nachhaltig und endgültig vergiftet, jegliche Glaubwürdigkeit seines Vorgesetzten war zerstört. In dieser Umgebung und Situation noch weitere fünf Jahre bis zur regulären Rente zu arbeiten, hätte einen solch gewaltigen Verlust an Lebensqualität und Gesundheit bedeutet, dass es mit dem Gehalt nicht aufzuwiegen war. Er wusste aufgrund seiner Erkrankung ja nicht, ob er überhaupt 65 Jahre alt werden würde. Er wusste aber, dass er schon bei der Fahrt zum Arbeitsplatz oft genug verkrampfte, während der Stunden im Büro zunächst die Mittagspause und dann den Feierabend herbeisehnte, und dass er zu Hause so erledigt war, dass es ihm noch nicht einmal gelang, den Abendnachrichten zu folgen, ohne dabei einzuschlafen.

Am 8. April 2016 saß er dann beim jährlichen »Mitarbeitergespräch« dem (noch) gut gelaunten und wohl nichtsahnenden Herrn Immermüller gegenüber und ergriff das Wort: »Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie auf meinen Verbleib in der Firma keinen Wert legen. Sie haben es ja schon vor einiger Zeit geschafft, dass ich Ihnen grundsätzlich kein Wort mehr …

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[Zur Fortsetzung]

Samstag, 22. Oktober 2016

Du musst hier raus … – Teil 2

Wir erinnern uns, liebe Blogbesucher, dass wir hier eine Geschichte lesen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen und wirklichen Orten – Sie ahnen das ja längst – wären rein zufälliger Natur und sind nicht beabsichtigt. Der erste Teil steht hier: [Du musst hier raus … Teil 1]. So. Und nun geht es weiter:

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Herr Immermüller versprach gerne, wenn es um eine Gehaltsanpassung ging, dass er anlässlich der nächsten Tariferhöhung »sehen werde, was er tun könne«. Er tat allerdings entweder nichts, oder er wollte oder konnte sich bei der Geschäftsführung nicht durchsetzen. Seit Jahren. Eine ehrliche Antwort wäre Johannes Matthäus lieber gewesen: »Ich kann/will keine Gehaltserhöhung für Sie durchsetzen.« Da weiß man dann, woran man ist. Aber dieses »ich werde mal sehen« – über Jahre wiederholt – sorgte natürlich dafür, dass die Glaubwürdigkeit des Herrn Immermüller schrumpfte und schrumpfte.

Johannes Matthäus hatte ihn bereits am 15. Februar 2013 im Rahmen des jährlichen »Mitarbeitergespräches« gefragt, warum er sein Wort bezüglich der Büroaufteilung nicht gehalten hatte. Eine Erklärung fiel dem Vorgesetzten nicht ein. Es sei nun eben mal so gekommen.

86fd213a886411e18cf91231380fd29b_7Ein gesunder Mensch kommt natürlich mit solchen und noch viel schlimmeren Arbeitsbedingungen zurecht. Johannes Matthäus hatte sich vorgenommen, den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu versuchen – falls der Versuch nicht von Erfolg gekrönt sein sollte, würde die Welt nicht untergehen. Und nun war er hin- und hergerissen zwischen Durchhalten und Resignation. Da er aber von seiner ganzen Natur her eher zum Durchhalten und wo notwendig Durchbeißen neigte, blieb er. Er schätzte auch die sehr guten, zum Teil freundschaftlichen Beziehungen zu den Mitarbeitern, die er betreute. Wie wohl in jeder Firma gab es auch im Hause QVL Menschen, mit denen er nicht so gut zurechtkam. Aber bei rund 95 Prozent der Beschäftigten freute sich Johannes Matthäus über ein rundum gutes berufliches Miteinander. Und das wog seinem Empfinden nach doch zumindest einen Teil der Beeinträchtigungen auf, denen er durch die Starrsinnigkeit von Frau Mosdrich und Frau Hirte ausgesetzt war.

Womöglich wäre es ihm angesichts seiner Schwerbehinderung von 60 Prozent gelungen, juristisch einen leidensgerechten Arbeitsplatz durchzusetzen. Den Versuch unternahm er jedoch nicht, da es ihm zutiefst fremd gewesen wäre, gegen einen Arbeitgeber zu klagen.

Im Rahmen der vierteljährlichen Krebsnachsorgeuntersuchungen erfuhr er dann an seinem Geburtstag, dem 23. September 2013, dass zwei Lebermetastasen diagnostiziert worden waren. Johannes Matthäus fand sich von heute auf morgen im Krankenhaus wieder. Es folgte eine fast sechsstündige Operation, die Gott sei Dank erfolgreich verlief. Der Leberkrebs konnte »im Gesunden«, das heißt, ohne dass etwas vom Tumorgewebe zurückblieb, entfernt werden.

Schon sieben Wochen nach der Operation kehrte Johannes Matthäus an seinen Arbeitsplatz zurück. Man mag daran ablesen, dass er seine Tätigkeit mochte, dass er gewillt war, den Kampf gegen den Krebs nicht aufzugeben, sondern ein so normales Leben wie irgend möglich zu führen.

Die Situation hatte sich natürlich nicht geändert, die Sitzordnung war die gleiche geblieben, von einem leidensgerechten Arbeitsplatz war keine Rede. Johannes Matthäus versuchte, durch regelmäßige Unterbrechungen seiner Arbeit durchhalten zu können. Er ging dann aus dem Büro an einen möglichst ungestörten Ort – häufig eine der Toiletten – und genoss am offenen Fenster ein paar Minuten Licht und Luft.

Am 21. Februar 2014 sprach Johannes Matthäus im Rahmen des Mitarbeitergespräches erneut seinen Vorgesetzten darauf an, dass eine andere Aufteilung des Büroraumes möglich und angesichts der Fatigue notwendig sei. Ohne Erfolg, wenn man das folgenlose »ich will mal sehen, was ich machen kann« nicht als Erfolg rechnen möchte.

Johannes Matthäus hielt durch. Im Frühjahr 2014 reagierte sein Körper auf die Belastungen mit einem Hörsturz, der zu einem chronischen Tinnitus und einem Verlust von 60 Prozent der Hörfähigkeit im linken Ohr führte.

An diesem Punkt angekommen dachte er erstmals ernsthaft darüber nach, seine geliebte Berufstätigkeit aufzugeben, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen oder ganz aufzuhören. Für einen 59jährigen war es natürlich nicht allzu aussichtsreich, auf dem Arbeitsmarkt eine passende Stelle zu finden.

Johannes Matthäus nahm fortan etwas mehr Rücksicht auf seinen Zustand. Er lehnte konsequent alle Arbeitsaufträge ab, die über die Stunden, für die er bezahlt wurde, hinausgegangen wären oder die seine jeweilige Leistungsfähigkeit überforderten. Herr Immermüller hörte nun immer häufiger ein Nein, wenn er kam und sagte: »Könnten Sie noch schnell …?« Es dauerte eine Weile, aber schließlich war dem Vorgesetzten klar, dass Johannes Matthäus jetzt feste Grenzen setzte.

Es soll sich nun an diesem Punkt der Erzählung kein falsches Bild in den Köpfen der geschätzten Leser festsetzen. Herr Immermüller und Johannes Matthäus kamen gut miteinander aus. Sie kultivierten ein freundlich distanziertes berufliches Miteinander, Johannes Matthäus blieb hilfsbereit und kooperativ, aber er ließ sich nicht mehr ausnutzen. Das akzeptierte der Vorgesetzte, die Positionen waren abgesteckt. Beim Abschied rund zweieinhalb Jahre später gingen Herr Immermüller und Johannes Matthäus im besten Einvernehmen und Frieden auseinander – aber so weit sind wir ja noch nicht mit dieser Geschichte.

Es gab Ende 2014 einen vermeintlichen Lichtblick – denn es stand ein erneuter Umzug innerhalb der Firmenzentrale an und Herr Immermüller hatte zugestimmt, dass Johannes Matthäus den Arbeitsplatz am linken Ende des Raumes (mit einer zusätzlichen Fensternische) bekommen würde. Das hätte eine so große Erleichterung bedeutet, dass Johannes Matthäus sogar Hoffnung schöpfte, die Auswirkungen der Fatigue könnten sich nach und nach mildern. Immerhin hatte der Vorgesetzte ja zugestimmt.

Doch auch dieses Versprechen …

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Freitag, 21. Oktober 2016

Du musst hier raus ... – Teil 1

Etliche Menschen haben mich gefragt, warum ich meine de facto unkündbare Berufstätigkeit aufgegeben und damit eine schmerzlich spürbare finanzielle Einbuße in Kauf genommen habe. Meine Antwort in vier Worten: Der Klügere gibt nach.

Das würde ich gerne ausführlicher schildern, allerdings gilt eine Verschwiegenheitsverpflichtung bezüglich der Vorgänge und Zustände bei einem Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus. Stattdessen will ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, nun einfach eine Geschichte erzählen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen und wirklichen Orten – Sie ahnen das ja schon – wären rein zufälliger Natur und sind nicht beabsichtigt.

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Nehmen wir einmal an, es hätte einen Arbeitnehmer namens Johannes Matthäus gegeben, der in einem Industriebetrieb – nennen wir ihn QVL-Werke GmbH & Co. KG (kurz QVL) – als Personalreferent gearbeitet hat. Nehmen wir ferner an, es hätte dort einen Vorgesetzten – nennen wir ihn Herrn Immermüller – gegeben und zwei Mitarbeiterinnen im Personalbüro – nennen wir sie Frau Mosdrich (wie der Mostrich, aber mit d) und Frau Hirte. Und schließlich nehmen wir an, man schriebe den 4. Februar 2013. An diesem Tag kehrt Johannes Matthäus an den Arbeitsplatz zurück, den er runde zwölf Monate zuvor, am 13. März 2012 um 16:03 Uhr, verlassen hatte, ohne zu ahnen, was ihm bevorstand.

Anfang Februar 2012 war er bereits sechs Tage lang wegen starker Krämpfe und Bauchschmerzen arbeitsunfähig gewesen. Nach einer Untersuchung im Krankenhaus hatte man ihn wieder nach Hause entlassen und Antibiotika verordnet. Es handele sich um eine Entzündung im Darmbereich, eine Divertikulitis, hatte es geheißen. Vier Wochen lang waren die Schmerzen immer wieder aufgetaucht, trotzdem fuhr Johannes Matthäus Tag für Tag ins Büro, denn er machte seine Arbeit gerne. Ab dem 10. März 2012 aber wurden die Beschwerden zu quälend und es kamen Erbrechen sowie ständige Übelkeit hinzu. Sein Zustand verschlimmerte sich dermaßen, dass er schließlich am 13. März abends vom Notarzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Es folgten die Diagnose Darmkrebs, eine Operation, eine Rehabilitation und acht Zyklen Chemotherapie.

Und nun, am 4. Februar 2013, 46 Wochen später, wollte Johannes Matthäus endlich wieder arbeiten. Einen Schritt zurück in die Normalität tun. Er freute sich darauf.

Die Personalabteilung war inzwischen in ein anderes Büro umgezogen und um Frau Hirte, die als Krankheitsvertretung eingestellt worden war, ergänzt worden. Herr Immermüller hatte Johannes Matthäus einmal zu Hause besucht und ihm eine Zeichnung des neuen Büros zukommen lassen, auf der er sich seinen zukünftigen Arbeitsplatz aussuchen hatte dürfen. Doch als er nun an diesem Morgen zum ersten Mal das neue Büro betrat, hatte man ihm den schlechtesten Platz von allen zugewiesen: Mit dem Rücken zum offenen Raum und zur Tür, und – das war das wirklich Schlimme – gegenüber von Frau Hirte, die sich schnell als lichtscheues Wesen entpuppte.

Solange es wirklich dicke, schwere Wolken am Himmel gab, konnten die Jalousien oben bleiben. Doch schon bei Schleierbewölkung, ohne dass die Sonne auch nur hervorlugte, fühlte sich Frau Hirte geblendet und verdunkelte ohne zu fragen den Raum. Wenn Johannes Matthäus protestierte, blieb er ohne Erfolg, denn Frau Mosdrich, früher etwas weniger lichtempfindlich, hatte sich die Lichtfurcht inzwischen angeeignet. Was Frau Mosdrich schon immer ausgezeichnet hatte und geblieben war, war ihre feste Überzeugung, bei der kleinsten Luftbewegung krank werden zu müssen. Daher durfte, wenn ein Fenster gekippt war, auf keinen Fall die Tür offen sein. Tischventilatoren betrachtete sie als Mordwerkzeug. Die ehemalige Kollegin Frau Maladhaus, inzwischen seit ein paar Jahren in Rente, hatte seinerzeit einen Tischventilator unter dem Schreibtisch versteckt gehabt, um bei Sommerhitze wenigstens an den Beinen eine kleine Erleichterung zu verspüren.

So saß also fortan Johannes Matthäus Sommer wie Winter, Herbst wie Frühling im total abgedunkelten Büro, falls nicht schwere Wolken den Himmel verdeckten. Die Sauerstoffzufuhr war minimal, da Frau Mosdrich und Frau Hirte sich einig waren, dass es entweder zu kalt draußen oder zu heiß draußen war. Seinen Tischventilator konnte Johannes Matthäus nur auf niedrigster Geschwindigkeitsstufe laufen lassen, weil sonst die fünf Meter entfernt sitzende Frau Mosdrich wütend und lauthals meckerte, dass sie »im Zug säße« und sich den Tod holen würde.

Und Herr Immermüller? Was tat Herr Immermüller? Nichts.

Johannes Matthäus bat ihn mehrmals, eine andere Sitzordnung durchzusetzen: Die Frauen einander gegenüber auf der einen Seite des Büros, sein Schreibtisch auf der anderen. Dann hätte eine Hälfte des Büros abgedunkelt werden können, die andere bekäme Licht. Dann hätte ein Fenster, weit von Frau Mosdrich entfernt, geöffnet werden können, ohne dass sie einen tödlichen Lufthauch abbekäme. Dann wäre die Arbeitssituation so gewesen, wie ursprünglich beim Besuch des Herrn Immermüller während der Arbeitsunfähigkeit vorgesehen und versprochen. Vor allem aber so, dass Johannes Matthäus längerfristig - trotz der bleibenden Folgen seiner Erkrankung - seine Arbeit hätte tun können.

Er erklärte seinem Vorgesetzten die Auswirkungen des Fatigue Syndroms und wie stark sein Wohlbefinden, seine Leistungsfähigkeit und letztendlich seine Gesundheit von Tageslicht und guter Sauerstoffversorgung abhängig waren. Herr Immermüller, selbst natürlich mit einem Einzelbüro ausgestattet, in dem er lüften und die Helligkeit regeln konnte wie er wollte, hörte sich alles an und versprach: »Ich werde mal sehen, was ich da tun kann.«

Was das bedeutete, wusste Johannes Matthäus allerdings seit Jahren. Herr Immermüller versprach gerne …

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Mittwoch, 12. Oktober 2016

Drei Jahre ohne …

WP_20161012_09_29_15_Pro… neue Tumore – ein gewaltiger Grund für Freude und Dankbarkeit.

Wie immer habe ich bei der Sonografie zwar auf dem Bildschirm mitverfolgen können, was mein Arzt da so in meinem Inneren betrachtet, ohne vorher den Bauch aufzuschneiden, aber ich würde nicht behaupten wollen, da auch nur annähernd irgend etwas zu erkennen. Daher bin ich auf seine Kommentare angewiesen, und die waren auch heute von guter Laune und guten Nachrichten geprägt. Es gibt keine Anzeichen von Veränderungen an den Organen, die Lymphknoten und Lymphgefäße sind vollkommen unauffällig und die Blutwerte zeigen keine Anzeichen für »raumgreifende Veränderungen« im Körper. Die beiden Tumormarker sind konstant auf ihrem unauffälligen Niveau geblieben.

Ich wollte meinen geschätzten Blogbesuchern, soweit sie nicht bei Facebook mit mir verbunden sind, diese gute Nachricht des heutigen Tages nicht vorenthalten. Demnächst werde ich mich hier wieder etwas regelmäßiger melden. Mehrere Menschen haben mich gefragt, warum ich meine de facto unkündbare Berufstätigkeit aufgegeben und damit eine sehr deutlich spürbare finanzielle Einbuße in Kauf genommen habe. Meine Antwort in vier Worten wäre diese: Der Klügere gibt nach.

Das will ich gerne etwas ausführlicher in Worte kleiden, demnächst an dieser Stelle.

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