Montag, 24. Oktober 2016

Du musst hier raus … – Teil 3

Wir erinnern uns, liebe Blogbesucher, dass wir hier eine Geschichte lesen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen und wirklichen Orten – Sie haben das noch im Kopf – wären rein zufälliger Natur und sind nicht beabsichtigt. Das bereits Erzählte steht hier: [Du musst hier raus … Teil 1] – [Du musst hier raus … Teil 2]. So. Und nun geht es weiter:

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Doch auch dieses Versprechen wurde gebrochen. Am Tag des tatsächlichen Umzugs musste Johannes Matthäus zur regelmäßigen Krebsnachsorgeuntersuchung und war deshalb nicht in der Firma. Als er am nächsten Tag bei QVL eintraf, hatte Frau Hirte den Platz eingenommen, der ihm versprochen worden war. Johannes Matthäus saß wiederum mit dem Rücken zur Tür gegenüber der vermutlich lichtscheusten Person im ganzen Betrieb. Frau Mosdrich und Frau Hirte hatten so entschieden.

Natürlich protestierte Johannes Matthäus. Er verlangte, dass Frau Hirte den Platz wechseln sollte. Sie weigerte sich, auch nur aufzustehen. Es hätte wohl körperlicher Gewalt bedurft, und das kam natürlich nicht in Frage.

Und Herr Immermüller? Was tat Herr Immermüller? Sie ahnen es ja schon, liebe Leser: Nichts. Ein lahmes »es ist nun mal so, und so bleibt es jetzt auch« war alles. Er bestritt nicht seine Zusage bezüglich der Raumaufteilung, aber er hatte nicht den Mut oder den Willen, sein gegebenes Wort nun auch durchzusetzen, obwohl Johannes Matthäus noch einmal eindringlich daran erinnerte, welche Auswirkungen das Fatigue Syndrom unter den gegebenen Umständen auf seine Leistungsfähigkeit, seine Konzentration und letztendlich auf seine Lebensqualität hatte. Das alles zählte nicht. Dass er die wesentlich längere Betriebszugehörigkeit und ein deutlich höheres Lebensalter hatte, dass er Schwerbehinderter war … hatte kein Gewicht.

An diesem Punkt war Johannes Matthäus klar, dass sein Vorgesetzter keinen Wert auf seine langfristige weitere Mitarbeit legte. Es folgten zwei weitere Ereignisse, die dann den Ausschlag gaben, die Firma zu verlassen.

Das eine Ereignis war der Tod einer Mitarbeiterin, zwei Jahre jünger als Johannes Matthäus. Er hatte sich mit ihr stets bestens verstanden, die berufliche Zusammenarbeit war sehr angenehm, und die beiden konnten auch über Gott und die Welt plaudern, wenn sich die Gelegenheit ergab. Dann wurde Darmkrebs – also die gleiche Erkrankung wie bei ihm selbst – diagnostiziert. Nur neun Wochen später war sie tot. Der Krebs war zu spät entdeckt worden.

Johannes Matthäus wusste bei allem Optimismus und allem Durchhaltewillen, dass aus medizinischer Sicht seine Chancen, die nächsten drei Jahre zu überleben, bei fünfzig Prozent lagen. Er dachte nicht ständig darüber nach, aber vor jeder der vierteljährlichen Untersuchungen häuften sich naturgemäß entsprechende Gedanken und Befürchtungen. Umso größer dann die jeweilige Erleichterung, weil keine neuen Metastasen gefunden wurden und alle Laborwerte auf Tumorfreiheit hindeuteten. Der Tod dieser Kollegin traf ihn sehr und wurde ihm zur eindrücklichen Mahnung, wie schnell und unerwartet das Leben, jedes Leben, enden kann. Sollte er sich wirklich noch bis zur Regelrente den Leiden aussetzen, die ihm durch die Situation im Büro zugefügt wurden?

Das andere, letztendlich dann ausschlaggebende Ereignis begab sich nach seinem Sommerurlaub 2015. Er konnte es zuerst kaum glauben, aber Herr Immermüller hatte tatsächlich Frau Hirte und Frau Mosdrich dazu bewegt, Listen mit Fehlern zu erstellen, die Johannes Matthäus angeblich bei seiner Arbeit machte. Allein die Vorstellung, dass einem Vorgesetzten so etwas einfallen konnte, war absurd. Dass die beiden dann tatsächlich jeweils ein Blatt vollgekritzelt hatten, offenbarte deren Auffassung von Kollegialität überdeutlich.

Johannes Matthäus ging die beiden Listen Punkt für Punkt mit Herrn Immermüller zusammen durch. Punkt für Punkt zeigte sich, dass die angeblichen Fehler keine waren. Von beiden Din-A-4-Blättern blieb buchstäblich nichts übrig, außer dass Johannes Matthäus bei einem mehrseitigen Vertragsdokument vergessen hatte, die Kopfzeilen der Folgeseiten anzupassen. Alles andere, was die beiden Schnepfen, wie Johannes Matthäus sie hinfort für sich bezeichnete, aufgeschrieben hatten, war schlichtweg falsch, oder sie hatten Zusammenhänge nicht verstanden.

WP_20161024_09_11_13_ProGab es im Anschluss eine Entschuldigung von Herrn Immermüller für diesen Vorfall? Nein. Von den Schnepfen? Nein.

Johannes Matthäus überlegte ein paar Tage, ob er den Betriebsrat über diesen ungeheuerlichen Vorgang informieren sollte, aber dann beschloss er, stattdessen seinen Ausstieg vorzubereiten. Das Klima im Personalbüro war so nachhaltig und endgültig vergiftet, jegliche Glaubwürdigkeit seines Vorgesetzten war zerstört. In dieser Umgebung und Situation noch weitere fünf Jahre bis zur regulären Rente zu arbeiten, hätte einen solch gewaltigen Verlust an Lebensqualität und Gesundheit bedeutet, dass es mit dem Gehalt nicht aufzuwiegen war. Er wusste aufgrund seiner Erkrankung ja nicht, ob er überhaupt 65 Jahre alt werden würde. Er wusste aber, dass er schon bei der Fahrt zum Arbeitsplatz oft genug verkrampfte, während der Stunden im Büro zunächst die Mittagspause und dann den Feierabend herbeisehnte, und dass er zu Hause so erledigt war, dass es ihm noch nicht einmal gelang, den Abendnachrichten zu folgen, ohne dabei einzuschlafen.

Am 8. April 2016 saß er dann beim jährlichen »Mitarbeitergespräch« dem (noch) gut gelaunten und wohl nichtsahnenden Herrn Immermüller gegenüber und ergriff das Wort: »Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie auf meinen Verbleib in der Firma keinen Wert legen. Sie haben es ja schon vor einiger Zeit geschafft, dass ich Ihnen grundsätzlich kein Wort mehr …

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[Zur Fortsetzung]